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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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geworden war, der alles anzweifelte und jedem misstraute.
    Nach einem langen Schweigen – die Kerze war fast heruntergebrannt – erklärte Harriet ihm den letzten Teil ihres Plans. »Behalt du das Gold, das ich heute gefunden habe«, sagte sie. »Es gehört dir. Nach ein paar Tagen tust du so, als hättest du es hier gefunden. Sorg für ein bisschen Aufregung. Auf die Weise hältst du sämtliche Schürfer hier bei dir in Kokatahi.«

D IE M ACHT DER T RÄUME
I
    Harriet nahm so viel Gepäck mit, wie sie gerade noch tragen konnte, auch das unhandliche Zelt, ihre rote Decke und ein geriffeltes Waschpfännchen. Während Joseph ihr half, die Sachen am Rücken festzuschnallen, dachte sie an ihr Pferd und wie schön es wäre, wenn Billy die Last tragen könnte. Er würde sich zwischen all den Erdhügeln, den Schächten und den Steinen im Fluss elegant seinen Weg suchen. Aber Billy war weit weg und fraß genüsslich Klee auf der Orchard-Farm.
    Harriet verließ das Lager nach Mitternacht. Ihr entging nicht, dass einige Kokatahi-Schürfer noch wach waren und ihren Aufbruch registrierten. Sie sah ein Gesicht aus einer Hütte schauen, als sie sich flüsternd von Joseph verabschiedete und seine Wange mit der Hand berührte. Also gab sie dem neugierigen Mann die Gelegenheit zu hören, was sie sagte. »Es tut mir leid, Joseph. Es tut mir leid. Du hattest einfach Recht. Das hier ist keine Welt für Frauen.« Und sie wusste, dass der Mann sie auch noch beobachtete, als sie loslief. Aber sie ging ja in Richtung Kaniere, in Richtung Hokitika, zum Meer. Und wenn sie dann den Fluss durchquerte und auf der anderen Seite zurückging, würde sie darauf achten, dass man sie vom Kokatahi-Goldfeld aus nicht sah.
    Die Nacht war kalt und still, am Himmel stand eine schmale Mondsichel, und nur der Fluss setzte sein ewiges Geplauder mit der Welt fort.
    In einer Hand hielt Harriet einen Stab, einen Schwarzbuchenast, den Joseph ihr zurechtgeschnitten hatte, damit sie nicht stolperte oder ausrutschte, wenn sie durchs Wasser watete, und in der anderen Hand hielt sie Ladys Leine. Die Hündin schien begeistert vom Mondlicht und den Schatten, aber auch verwirrt von all den vielen Gerüchen. Auch sie schien zu ahnen, dass sieKokatahi weit hinter sich lassen und zu einem stillen, grünen Ort ziehen würde, wo sie vom Flussufer aus Fische fangen und Eisvögel aus den Bäumen scheuchen konnte.
    Obwohl Harriet wusste, dass ihr Unternehmen verwegen, ja sogar gefährlich war, fühlte sie sich vollkommen euphorisch. Diese Bewegung, dieses erwartungsvolle Unterwegssein, war etwas, das sie über die Maßen genoss – besonders nach jenen zwölf langen Gouvernantenjahren, die sie in ein Zimmer verbannt und an ein hölzernes Pult gefesselt verbracht hatte, während ihr die Zeit unaufhaltsam davonlief.
    Heiter und gelassen setzte sie ihre lange Wanderung fort und lief am Nordufer des Flusses den Bergen entgegen. Sie wusste nicht, wie spät es war, als sie das Wasser ein zweites Mal querte und endlich zu dem Kiesstrand kam, wo sie die Goldkörner gefunden hatte. Sie hatte nur das Gefühl, dass die Nacht sich allmählich dem Morgen entgegenneigte, dass sie jetzt müde war, dass ihr die Füße von der Kälte weh taten, dass ihre Röcke nass waren und dass sie nichts anderes wollte, als sich in ihre scharlachrote Decke wickeln und schlafen.
    Doch sie lief weiter. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihr Zelt außer Sichtweite von Chens Hütte aufzustellen. Der Kiesstrand endete an einer Flussbiegung, aber dahinter tauchte ein weiterer kleiner Strand auf, mit etwas Vegetation an seinem oberen Ende. Und obwohl der Mond fast verschwunden war, konnte Harriet in seinem milchigen Widerschein auf dem Wasser erkennen, dass der Boden dort eben war.
    Sie setzte ihr schweres Bündel ab, hörte, wie ihre Waschpfanne auf einen Stein knallte. Lady drehte sich im Kreis und schüttelte sich das Wasser aus dem Fell.
    »So«, sagte Harriet zur Hündin. »Das hier wird unser Lager.« In der Ferne war das Geräusch des Wasserfalls zu hören.
    Sie holte ein paar geröstete, faserige Kūmara aus ihrem Rucksack, und beide aßen erst einmal. Dann breitete Harriet die Zeltbahn flach auf dem Boden aus, und sie legten sich darauf, undHarriet hielt Lady, wie sie vielleicht ein Kind gehalten hätte, ihren warmen Rücken an die Brust gedrückt, und sie schliefen, bis es hell wurde.
    Gegen Mittag war das Lager fertig eingerichtet.
    Obwohl das Zelt nur wenige Meter vom Fluss entfernt stand, war die

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