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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Luft hörte Toby das endlose, alberne Blöken des Schafs. Er wollte, dass es aufhörte. Und er wollte es nie wieder hören. Es schien ihm wie die sinnlose Serenade für Träume, die einst Wirklichkeit geworden waren, sich jetzt aber verflüchtigt hatten.
III
    Edwin träumte.
    Er stand an einem See, und der See war so still, dass es kein Leben darin zu geben schien und auch keinen Wind, der das Wasser in Bewegung setzen könnte. Und in dem gläsernen,stummen See konnte er sein Spiegelbild erkennen, und er sah, dass sein Gesicht nicht mehr bleich wie der Mond war, sondern viele dunkelviolette Flecken aufwies, als wäre das Blut aus seinen Adern getreten und hätte sich in kleinen Pfützen unter der Haut gesammelt.
    Er stand vollkommen regungslos da und beobachtete, wie sein Aussehen sich veränderte, und nach einer Weile sah er, dass sein Gesicht so dunkel geworden war, dass sich absolut kein Licht mehr darin brach, und dort, wo es sich im See gespiegelt hatte, jetzt eine bloße Abwesenheit war, als würde sein Körper mit den Schultern enden. Das Fehlen seines Gesichts war bemerkenswert, doch er stellte fest, dass er die Möglichkeit, dass es vielleicht nicht mehr da war, bereitwillig akzeptierte.
    Aber sehen konnte er noch.
    Was bedeutete, dass er noch Augen hatte, auch wenn sie nicht in der Lage waren, sich selbst zu sehen. Und jetzt begriff er, dass ihm, so unlogisch und widersprüchlich es auch scheinen mochte, nichts anderes übrig blieb, als auch das zu akzeptieren, weil er eine Welt betreten hatte, in der das Unmögliche überall war, eine Welt, in der alle Regeln, die er einst gelernt hatte, nicht galten. Und diese Erkenntnis versetzte ihn in eine seltsame Erregung, und er blickte um sich, weil er sehen wollte, wie sich alles verändert hatte.
    Was ihn am meisten überraschte, war die veränderte Neigung des Seeufers (wo er stand) im Verhältnis zum See. Anstatt sanft zum Wasser hin abzufallen, schien das Land als schlingernder Pfad direkt über der reglosen Wasseroberfläche zu treiben . Dieser Pfad hatte einen festen Boden und die Farbe von Grünstein, verhielt sich aber trotzdem wie eine Art Nebelstrang, und Edwin wäre gern zu seiner Mutter gelaufen, um ihr zu erzählen, dass er sie jetzt gesehen habe, die zehn Meter Land zwischen See und Meeresstrand! Er hätte ihr gern mitgeteilt, dass nichts auf der Welt unmöglich war. In ihrem Leben auf der Orchard-Farm hatten sie das irgendwie nicht begriffen, weilsie tagein, tagaus, jahrein, jahraus dieselben Dinge auf dieselbe Weise getan und nie gemerkt hatten, dass alles auch anders hätte sein können.
    Plötzlich fiel ihm wieder ein, wie Janet einst entschied, ein Pudding könne auch blau sein, und dann etwas vollbrachte, das jeder für unmöglich gehalten hatte. Und die blauen Puddings waren eine Quelle der Wunder gewesen und es auch immer geblieben, selbst nachdem alle sie zu Dutzenden verspeist hatten. Aber sie hatten nie begriffen – nicht einmal Janet hatte es begriffen –, dass, wenn ein Pudding blau sein konnte, auch tausend andere belebte oder unbelebte Dinge etwas anderes sein konnten. Und jetzt war es zu spät, ihnen das zu sagen. Die Welt der Orchard-Farm, die Welt von Lampenlicht und Feuerschein, von springenden Hunden und versengtem Leinen, von Bleistiften, Büchern und silbernen Schüsseln war entschwunden – entschwunden an einen unerreichbaren, unbekannten Ort. In diesem neuen Universum anderer Möglichkeiten war sie zu dem einen wirklich unmöglichen Ort geworden, an den er niemals mehr zurückkehren konnte.
    Edwin würde seine Mama und seinen Papa nie mehr wiedersehen. Er begriff das. Und bevor er den Grünstein-Pfad in seiner verlockenden Rätselhaftigkeit betrat, wollte er sich deshalb auch unbedingt an seine Eltern erinnern.
    Er sah seinen Vater, wie er im Sessel saß, der unter seiner massigen Gestalt ächzte und knarrte, wie er seine Pfeife immer wieder anzündete, weil sie nie gleichmäßig brennen wollte, sondern ständig auszugehen drohte. Edwin erinnerte sich, dass seine Mutter einmal gesagt hatte: »Toby, Liebster, warum kaufst du dir nicht eine neue Pfeife, wenn wir das nächste Mal in Christchurch sind?« Sein Vater hatte nur den Kopf geschüttelt und am Kaminfeuer einen neuen Fidibus angezündet, seine alte Pfeife gepafft und gesagt: »Nein, vielen Dank, Doro.«
    Und Edwin dachte jetzt, dass er das am meisten an seinem Papa liebte, diesen sturköpfigen Eigensinn, und er hoffte, dasser ihn sich bewahrte, solange er lebte, wo

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