Die Farbe der Träume
und wild an dem zerfledderten Seil zog.
Toby hatte nicht den geringsten Zweifel, dass er an diesem kalten Morgen den Mann erwischt hatte, der seit Monaten Schafe von seinen Weiden stahl und den er jetzt nicht entkommen lassen konnte, auch wenn er dringend Dr. Pettifer holen musste.
Er wendete sein Pferd, holte den Mann wieder ein und ritt eine Weile vor ihm her, straffte dann die Zügel und blickte nach hinten. Der Viehdieb blieb stehen, zog aber noch rasch das Tier näher heran, indem er sich das dünne Seil mehrmals um die Hand wickelte.
Durch den Vorhang aus fallendem Schnee konnte Toby jetzt sehen, dass der Mann schielte, mit beiden Augen nach außen, was ihm einen Ausdruck dauerhafter Verwirrung verlieh. Toby wusste nicht, in welches Auge er blicken sollte, als er ihn ansprach, weshalb er dann über die Augen hinweg auf den scheußlichen Hut schaute.
»Das ist mein Tier«, verkündete er zornig. »Sie befinden sich auf der Orchard-Farm – auf meiner Farm –, und das ist mein Schaf , das Sie da zu stehlen versuchen.«
Der Mann wischte sich mit seiner behandschuhten Hand den Schnee aus dem Schnurrbart. Seine Schielaugen sahen nach Westen und nach Osten und nichts dazwischen.
»Kann ja Ihr Tier sein, Sir«, sagte er. »Aber dieses Schaf wollte mich beißen! Und ich räche mich an jedem Tier, das so was versucht! Ich werde ihm die Kehle durchschneiden und es zumAbendbrot verspeisen und einen Mantel aus seiner Wolle machen, weil es mich zwicken wollte, und zwar bis auf den Knochen.«
Toby zögerte einen Moment. Die Antwort des Mannes war so außergewöhnlich, auf eine gewisse Weise auch so durchtrieben, dass sie ihn tatsächlich amüsiert hätte, wenn all das, was gerade mit Edwin geschah, längst vorbei und das Leben wieder normal wäre. Er hätte den Mann dann laufen lassen, hätte ihn vom Grundstück gewiesen, aber laufen lassen, hätte ihm seine Hammelfleischmahlzeit und sein Häufchen Wolle gelassen, weil er ein armer Kakadu war, der gar nichts besaß, während Toby Orchard alles hatte, was er sich nur wünschte. Doch an diesem eisigen Morgen verflog die Heiterkeit, die er sich kurz gestattet hatte, sofort wieder. Und schon in der nächsten Sekunde packte ihn eine so gewaltige Wut, dass er glaubte, es würde ihn zerreißen.
Er hielt das Pferd am kurzen Zügel und nahm seine Peitsche. Er hob den Arm und ließ die Peitsche mit einem scharfen Knall auf die Schulter des Mannes niedersausen. Das Pferd bäumte sich auf und wieherte, und der Mann schrie und fiel nach hinten, hielt aber immer noch das Seil fest.
»Jesus, hilf!«, brabbelte der Mann. »Jesus, rette mich vor dem da !«
»Nichts wird dich retten!«, brüllte Toby und versetzte ihm einen furchtbaren zweiten Hieb mit der Peitsche. »Du bist ein Lügner! Die Welt ist voller Lügner, und dem werde ich nicht mehr tatenlos zusehen! Da kommt ihr daher und glaubt, euch einfach nehmen zu können, was mir gehört, all das, was mir teuer ist, all das, wofür ich mein Leben geben würde. Kommt einfach in der Nacht und stehlt es euch. Ihr glaubt, ich erwische euch nicht und strafe euch nicht. Aber da irrt ihr gewaltig!«
Als Toby zum dritten Mal ausholte, rappelte der Mann sich hoch und schaffte es, der Peitsche auszuweichen. Er ließ das Seil los, und das Schaf jagte wie verrückt davon.
»Bring mich nicht um!«, schrie der Mann. »Bring mich nicht um wegen einem Schaf. Ich hab es losgelassen. Das siehst du doch. Ich hab es losgelassen!« Und dann stolperte er über einen Grashügel, der schon rutschig vom Schnee war, und er stürzte und hielt sich schützend die Hände über den Kopf. Aber die Peitsche landete auf seinem Rücken, landete noch zweimal und dann ein viertes Mal, bis Tobys Wut endlich abkühlte und er imstande war, den Mann wieder als das zu sehen, was er war – ein armes Geschöpf mit einem elenden Leben, gequält von Hunger und Mangel, gebeugt von enttäuschten Hoffnungen –, und er hielt inne.
Der Mann wimmerte, aber Toby hörte es kaum. Er war selbst ganz außer Atem, ihm entfuhr ein seltsam keuchender, schluchzender Laut, und er dachte, er müsste ersticken, müsste vor Unglück sterben, gleich hier, auf seinem Pferd. Er blickte auf alles, was vor ihm lag, auf alles, was er nicht hatte verhindern oder ändern können, und ihn packte das Grauen.
Sein Sohn würde sterben.
Ein Mann in einem fadenscheinigen Mantel lag auf seinem Land, blutend, und rang mit dem Tod.
Und er hatte diese Dinge irgendwie geschehen lassen.
In der kalten
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