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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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rührte sich nicht.
    Nach einer Weile deckten sie Edwin sanft zu. Toby schwitzte von der Hitze aus dem Kamin. Edwin starrte auf seine Eltern und auf die tanzenden Schatten der Flammen an der Wand. »Sing weiter, Mama«, flüsterte er.
    Und während Toby sich das Gesicht mit einem seidenen Taschentuch abtupfte und Janet näher ans Bett heranschlich und sich auf die harte Truhe hockte, in der einst Edwins blauer Matrosenanzug gelegen hatte, sang Dorothy:
    Bringst du mir zehn Meter Land.
    Petersilie, Kletterwein.
    Zwischen See und Meeresstrand,
    und ich werd dein …
    »Aber ich weiß doch gar nicht, wo die sind«, unterbrach Edwin sie.
    »Wo wer ist, mein Spatz?«
    »Die zehn Meter Land. Für die ist doch kein Platz.«
    »Nein«, sagte Dorothy. »Aber du weißt doch, das sind Lieder über lauter Dinge, die gar nicht möglich sind. Man kann doch auch kein Frotteekleid ohne Nadel nähen.«
    »Was ist Frottee?«, fragte Edwin.
    »Ein Stoff …«
    »Wie Bombasin?«
    »Nein …«
    »Bouclé. Alpaka. Chenille. Ich habe die Namen für Stoffe noch nie verstanden. Was bedeuten die? Weißt du, was die bedeuten, Papa?«
    »Himmel, nein!«, trompetete Toby und warf den Kopf in den Nacken. »Was zum Teufel bedeuten die? Ich glaube, kein Mensch weiß das genau, oder? Sind das Stoffe, oder ist das gesponnener Zucker? Woher sollen wir das wissen. Vielleicht sind das ja Federn für Kissen.«
    Der Hauch eines Lächelns huschte über Edwins Gesicht, verschwand wieder, und Edwin sagte: »Pares Umhang ist aus Zauberfedern gemacht.«
    Toby blickte zu Dorothy, und sie erwiderte seinen Blick.
    »Du kannst dich gewiss nicht mehr an Pare erinnern«, sagte Dorothy sanft. »Du warst doch noch ein winziges Baby, als sie gehen musste.«
    Edwin sah seine Eltern an. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck großer Müdigkeit. Es war ihm jetzt sehr wichtig, dass seine Mama und sein Papa endlich begriffen, dass es eine andere Welt gab, in der die Geister am Rand der Sonne tanzten und sich in treibenden Holzklötzen verbargen, eine Welt, in der ein Kiwifederumhang Menschen unsichtbar machte.
    »Sie ist zurückgekommen«, begann Edwin. »Sie hat mich gerufen, wenn ich im Toi-Toi-Gras spielte. Sie sagte immer: ›E’win, wo bist du?‹ Sie konnte das d nicht aussprechen.«
    Toby öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und schloss ihn wieder. Er erinnerte sich, dass Pare das Baby immer »E’win« genannt hatte. Er nahm Edwins magere Hand in seine, die groß und rot und glühend heiß war. »Sprich weiter«, sagte er.
    »Sie hat mir Geschichten erzählt«, fuhr Edwin fort. »Sie hat mir von dem taniwha und dem Windgott erzählt und von den Patupaiarehe, die so was wie Elfen sind. Sie kommen manchmal und stehlen einem was. Und der Umhang war ein Zauberumhang, weswegen ihr sie nie gesehen habt. Nur ich konnte sie sehen. Sie hatte langes schwarzes Haar, das hinten zusammengebunden war, und ihre Beine waren braun und dünn.«
    »Bist du sicher, dass du sie nicht nur geträumt hast?«, fragte Dorothy.
    »Ich habe sie nicht geträumt, Mama. Und du musst an ihre Welt glauben, das hat Pare gesagt. Du musst versuchen, diese Welt zu sehen. Wenn du zum Beispiel eine Eidechse siehst, könnte sie etwas anderes sein …«
    »Nein, Edwin«, sagte Toby entschieden. »Du redest von Aberglauben. Und Aberglauben muss man bekämpfen und nicht unterstützen. Das ist auch der Grund, weshalb die Maori nicht so richtig vorangekommen sind …«
    »Ich weiß nicht was ›Aberglauben‹ bedeutet«, sagte Edwin.
    »Es bedeutet ganz genau das, wovon du redest«, sagte Toby. »Wenn man glaubt, eine Eidechse wäre ein Monster, wo es doch nur eine Eidechse ist. An dem Tag, als Pare dich auf der Veranda im Stich ließ, dachte sie, sie würde ein Monster sehen, aber wir wissen, dass da gar kein Monster war, sondern nur ein Gecko. Verstehst du? Sie hätte dich beinah sterben lassen, wegen ihres lächerlichen Aberglaubens!«
    Edwin schwieg einen Moment mit großen, traurigen Augen. Dann sagte er: »Pare war nicht lächerlich, Papa. Ich finde nicht, dass du das sagen solltest. Besonders jetzt nicht.«
    »Wieso besonders jetzt nicht?«
    »Wo sie weg ist, wo sie tot ist.«
    Erneut sahen Toby und Dorothy einander an. Sie wussten nicht, was diese Geschichte mit Pare sollte. Ob sie daran glauben oder sie als eine von Edwins Erfindungen abtun sollten, so wie den rotgelben Moa-Vogel, den er so häufig gemalt hatte.
    »Woher weißt du, dass Pare tot ist?«, fragte Dorothy.
    »Das weiß ich einfach«, sagte

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