Die Farbe der Träume
immer dieses Leben auch stattfinden mochte. Er wünschte sich, dass Toby Orchard nie aufgab und nie klein beigab.
Und was seine Mama anging, da stellte Edwin sich vor, wie sie sich über ihn beugte – als wäre er wieder ein Baby in seiner Wiege – und ihm ihre melancholischen Lieder vorsang.
Ihre Stimme hatte stets tröstlich geklungen, und sie sang mit einem leisen Lächeln, als enthielten ihre Worte etwas, das nur sie amüsant fand. Edwin hatte manchmal überlegt, ob er sie fragen sollte, was das war, was sie beinahe zum Lachen brachte. Doch das hatte er nie getan, und jetzt wurden die Melodien schwächer, verhallten allmählich, und all ihre Wörter wurden undeutlich und verschwanden. Ihre Lieder würden nicht mehr für ihn erklingen.
»Sie wird für Papa singen«, sagte Edwin sich. »Sie werden zu beiden Seiten des Kamins sitzen, und Janet wird die Vorhänge zuziehen, wenn es draußen dunkel ist, und Papa wird an seiner Pfeife herumfummeln, und Mama wird zu singen beginnen …«
Doch jetzt hatte Edwin das Gefühl, dass die Zeit sehr schnell verging und dass er den schwimmenden Pfad betreten müsse, ehe alles so dunkel und abwesend würde wie sein eigenes Gesicht. Denn am Himmel entdeckte er eine Veränderung wie von einem drohenden Unwetter oder der heranrückenden Nacht, und als er aufbrach, begriff er, dass er auf ein Ziel zusteuerte, das den Gesetzen der neuen, veränderten Welt gehorchte. Und deshalb würde es vielleicht auch nicht als Ziel erkennbar sein, weshalb er plötzlich fürchtete, er könnte womöglich nicht erkennen, ob er schon angekommen war oder noch weitergehen musste.
Doch dann sah er einen Streifen Erde. Sie war grau und hart, und auf der Erde befand sich – in einer Ordnung, die von einer vollkommenen Harmonie zwischen den Gegenständen sprach – ein Kreis aus Steinen.
Edwin wusste, dass Pare diese Steine dort hingelegt hatte. Er kniete nieder und berührte einen Stein und dann noch einen, und die Steine schienen ihm zu sagen, dass sie sehr lange gewartet hatten.
IV
Als Toby mit Dr. Pettifer zur Orchard-Farm zurückkehrte, schneite es immer noch, und wenngleich es schon fast Mittag war, lag eine schneidende Kälte in der Luft.
Noch im Nachthemd, mit nackten Füßen und barhäuptig stand Dorothy mitten auf dem Rasen. Von der Veranda rief Janet, in der Hand einen Becher mit etwas Heißem, vielleicht Tee, ihr zu, sie solle ins Haus kommen, aber Dorothy rührte sich nicht. Sie schien Janet nicht zu sehen und nicht zu hören. Sie schien auch um sich herum nichts wahrzunehmen, nicht einmal die Ankunft von Toby und Dr. Pettifer. Sie stand einfach da und sah nichts, und der Schnee fiel auf sie, so wie er aufs Gras fiel und aufs Taubenhaus und auf die Bäume, und er machte alles weiß und löschte es aus.
P AAK M EIS G ELÄCHTER
I
Vor langer Zeit hatte Pao Yi im Haus am Reihersee einmal zufällig gehört, wie seine Frau Paak Mei ihren Freundinnen ein Geheimnis verriet.
Paak Mei hatte ein helles Lachen, und sie kicherte schrecklich gern. Es war, als würde das Kichern sie berauschen, als könnte sie, indem sie nur in einem fort lachte, zu vollkommenem Glück gelangen. Das Geheimnis, das sie, unter rasch anschwellendem Gekicher, enthüllte, betraf ihn, Pao Yi. Sie sagte, er sei, was sie »einen Connaisseur in Liebesdingen« nannte.
Das verwunderte Pao Yi, aber er spürte sofort, wie fasziniert die drei Freundinnen von dem waren, was Paak Mei ihnen anvertraut hatte. »Wenn er ein Connaisseur in Liebesdingen ist«, fragten sie, »von wem hat er dann seine Techniken gelernt?«
Pao Yi musste angestrengt horchen, um Paak Meis Antwort zu verstehen, da sie ihre Stimme jetzt zu einem belustigten Flüstern senkte, als wäre der Lachvogel herabgeflattert und irgendwo hier gelandet. »Er war einst der Liebhaber der Konkubine eines Kriegsherrn«, sagte sie. »Ihren Namen weiß ich nicht mehr. Aber sie hat ihn all ihre Künste gelehrt. Wenn ihr Pao Yi seht, glaubt ihr vielleicht, er sei nur ein armer Fischer vom Reihersee, aber in den Nächten ist er wahrhaftig ein Liebesartist!«
Wogen entzückten Gelächters begrüßten diese Enthüllungen. Zwei der Freundinnen sagten, sie wünschten, ihre Männer wären auch Liebhaber von Konkubinen gewesen. Die dritte Freundin aber fragte: »Woher weißt du denn, dass Pao Yi ein ›Connaisseur in Liebesdingen‹ ist, wenn er der einzige Mann ist, der dich jemals berührt hat?« Darauf folgte ein kurzes Schweigen, und Pao Yi hielt das Ohr noch dichter an die
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