Die Farbe der Träume
Wand.
Nach einer Weile flüsterte Paak Mei: »Weil er sich so aufmerksam meinem Vergnügen widmet. Manchmal schlafen wir überhaupt nicht, sondern lieben uns immer wieder bis zum Sonnenaufgang. Und dann fühle ich mich so leicht und frei und so befriedigt, als würde ich über die Baumwipfel segeln, als wären der Reihersee und alle Fische im Wasser und alle Wasserlilien an seinen Ufern mein.«
Aus irgendeinem Grund fanden die Freundinnen die Vorstellung, dass die kleine Paak Mei mit ihren winzigen schlurfenden Füßen plötzlich die Besitzerin des Reihersees sein könnte, komischer als alles bisher Gesagte, und das anhaltende Gelächter, das jetzt den Raum erfüllte, klang so melodiös und so ansteckend, dass Pao Yi sich auch bei einem Lächeln ertappte.
Doch als er dann das Haus verließ und zu seinem Boot ging, begann er, darüber nachzugrübeln, woher die Geschichte von der Konkubine des Kriegsherrn stammte oder ob Paak Mei sie erfunden hatte und wieso sie sich überhaupt damit brüstete.
In Wahrheit war es so, dass Pao Yi im Geiste zwar der Liebhaber vieler Frauen gewesen war, doch Paak Mei war die einzige, die er jemals wirklich gekannt hatte. Und während er seine Netze einholte, kam er zu dem Schluss, dass seine Fantasie ihm wohl mehr geholfen haben musste, als er dachte. Er hatte so oft die weiche Kurve des Schenkels einer Frau, die Schweißperlen zwischen ihren Brüsten oder auf ihrer Lippe »gesehen«, und es war so einfach gewesen, sich dorthin zu denken, wo diese Frau lag und auf ihn wartete, dass er vielleicht alles, was ein Mann über die Liebe wissen musste, aus seinen Tagträumen gelernt hatte.
Und ihm fiel auf, dass die Zeit, die der größte Feind der Liebe ist, in seinen Tagträumen stets auf seiner Seite gewesen war. Als junger Mann konnte Pao Yi seine Liebesträumereien auf lange tiefe Nachtstunden oder auf viele frühe Morgenstunden ausdehnen. Seine eingebildeten Konkubinen hatten fantastische Namen – Indigoblauer Vogel, Scharlachrote Tigerin, Smaragdgrüne Blume –, und er war fest überzeugt, dass es diesen wunderschönen Wesen möglich sein musste, die Liebe genauso intensiv zu genießen wie er.
Und deshalb untersuchte Pao Yi ihre Körper sehr gründlich, um herauszufinden, wo genau die Quelle dieser Wonnen lag und wie sie zu erzeugen waren, denn wenn er sich die Lust auf den Gesichtern von Indigo-Vogel, Scharlach-Tigerin und Smaragd-Blume vorstellte, wuchs die Ekstase seiner eigenen Lust. Und als er schließlich Paak Mei heiratete, hatte er die Lösung gefunden.
In ihrer Hochzeitsnacht lag er mit dem Kopf auf Paak Meis Bauch, schleckte an der winzigen Knospe, die er zwischen dem parfümierten Schamhaarbüschel fand, und Paak Mei wurde – wie sie später ihren neidischen Freundinnen gestand – zur Herrscherin vom Reihersee, zu der Frau, die, in Baumwipfeln gebettet, auf ihre silbern glänzende Mitgift hinabschauen konnte.
II
Nun, da Schnee auf seinen Garten fiel, hatte Pao Yi nur noch eines im Sinn: Er wollte der perfekte Liebhaber der Frau werden, die er Hel Jet nannte.
Zuallererst verbannte er die Zeit.
Dass es schneite, entzückte ihn. Denn er sah, dass der Rückweg zum Meer, der Rückweg in die reale Welt, vorausgesetzt, es schneite weiter, bald versperrt sein würde. Alles, was es dann noch gäbe, wäre das Bett, in dem sie lagen, das Feuer, das sie Tag und Nacht in Gang hielten, das Essen, das sie kochen würden, das weiße Licht des Tages am Fenster und die Höhle in ihrem Rücken, die hinter einer Wand aus Steinen verborgen lag.
Der Reihersee verschwand aus Pao Yis Kopf. Er konnte ihn nicht mehr sehen, konnte sich weder sein Boot auf dem See noch sein Haus an dessen Ufer vorstellen. Sogar die Gräber von Chen Lin und Chen Fen Ming waren wie verblasste Bilder oder wie halb vergessene Kleider, die er als Kind getragen hatte undaus denen er herausgewachsen war. Und vom Haus selbst blieb ihm kein einziges Geräusch, keinerlei Hinweis auf Personen, die sich darin bewegten, nicht das Wispern von Paak Meis Füßen, die über den Boden schlurften, kein perlendes Gelächter von der Feuerstelle, wo sie kochte.
Und auch Paak Shui war die meiste Zeit abwesend. Pao Yi glaubte fest, dass sein Sohn immer noch die Füße seiner Mutter mit Lavendelöl massierte, immer noch Wasserkastanien aus dem Fluss sammelte, immer noch seinen scharlachroten Drachen auf dem langen Berg fliegen ließ, immer noch mit der Schönschrift kämpfte, aber weder sah er ihn bei diesen Beschäftigungen, noch
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