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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Schotten waren. Sie hörte ihnen gern zu und musste lachen, als Hopton den Verschlag beschrieb, in dem sie auf der Schaffarm gehaust hatten: »Schlecht gefugte Bretterwände, und wissen Sie, womit die tapeziert waren? Mit Seiten aus den Illustrated London News . Ich hab ja die Kunst des Lesens nie erlernt, aber Bunny, der lag in seiner Koje und hat mir immer vorgelesen, was mit den Spaniels von der Königin war und was Lord Melbourne gesagt hat!«
    »Und auf den Goldfeldern, wo wollen Sie da wohnen?«, fragte Lilian.
    Die Männer zuckten die Achseln. Bunny wischte sich den Mund mit der Leinenserviette, die Lilian spendiert hatte. »Ein Goldrausch«, sagte er, »das ist reines, absolutes Chaos, Madam.Das haben wir in Otago gesehen – und dabei war der Rausch dort schon fast vorbei. Deshalb weiß man auch nie vorher, wo man unterkommen wird. In manchen Nächten schläft man mit dem Kopf auf einem Stein.«
    »Genau«, sagte Hopton. »Stimmt. Das kann man nie vorhersagen. Sie können schön gemütlich in einem Zelt auf festem Boden wohnen, oder Sie klemmen auf einem Felsvorsprung, und der Südwind pfeift Ihnen um die Ohren.«
    Für eine Weile schwiegen alle, und es wurde noch mehr Hammeleintopf verdrückt, dann sagte Harriet: »Warum fahren Sie denn nicht mit dem Schiff von Lyttelton, wenn die Bergroute so schwierig ist?«
    »Wenn Sie behaupten würden, wir sind verrückt«, erklärte Hopton, »dann wären Sie nicht die Ersten. Aber so wie wir das sehen, gibt es einen Weg über den Hurunui-Sattel. Es ist ein heimtückischer Weg. Die Leute sagen, in manche von diesen tiefen Schluchten fällt nie ein Sonnenstrahl, aber was sind schon ein paar Tage Dunkelheit, wenn das der Weg zum ganz großen Glanz ist!«
    »Das Schiff können wir uns nicht leisten«, sagte Bunny trocken. »Das ist der wahre Grund. Die Überfahrt wird mit jedem Tag teurer. Der Hurunui ist unsere einzige Chance.«
    Joseph, der während der ganzen Mahlzeit geschwiegen hatte, blickte jetzt hoch und sah die Männer besorgt an, und die deuteten das als Mitleid mit ihrer Notlage. Was es auch tatsächlich war, aber es war noch mehr. Joseph begriff mit einem Mal, dass Männer wie diese hier – Männer, die nicht lesen konnten, Männer, die ihr Leben lang arm und elend gewesen waren – ihn vielleicht schon bald, noch vor Ende des nächsten Winters, überrunden würden, weil sie so viele Reichtümer angehäuft hätten, dass alles, was er jetzt besaß, ihnen im Vergleich dazu kläglich erscheinen müsste. Womöglich würden sie seine Farm und das Lehmhaus und alles, was darin war, gleich fünfmal kaufen können. Die Goldfelder seien, so hatte er sagen hören, ein »ausgezeichnetes Werkzeug zur Nivellierung der Gesellschaft«, und jetzt begriff Joseph, wie viel Wahrheit darin steckte. Denn es waren nicht die Reichen, die in die Sümpfe und zu den Flüssen zogen, die sich halb zu Tode schufteten, indem sie von morgens bis abends ihre Goldwaschrinnen füllten und wieder leerten, es waren Männer wie Hopton Fellwater und Bunny McGee. Und am Ende waren sie es womöglich und nicht er, die reich wurden.
    Und so beschäftigte Joseph während der restlichen Mahlzeit nur noch die Frage, ob es stur und töricht von ihm war, auf sein privates Gewässer zu bauen? Sollte er das bisschen Goldstaub, das er gefunden hatte, vergessen und dem Goldrausch folgen? Er sah kurz zu Lilian hinüber, die – zu seinem Erstaunen, zumal nach ihrer unglücklichen Erfahrung in Christchurch – von den beiden Männern sehr angetan schien. Er hätte gern gewusst, ob sie vielleicht sogar dasselbe dachte wie er, nämlich dass er, Joseph, sich den Goldsuchern anschließen sollte, ehe es zu spät war. Oder … und hier zögerte er und sah seine Mutter scharf an … ob sie etwa nur die Vorstellung erregte, dass diese Menschen hier demnächst ihr Leben in den Bergen aushauchen würden. Meistens konnte Joseph genau sagen, was Lilian dachte, aber an diesem Abend konnte er es nicht.
    Zum Nachtisch vertilgten sie noch ein paar Schokoladen-Haferplätzchen, die Lilian vor zwei Tagen gebacken hatte, und tranken eine Kanne Tee dazu, und als das Mahl schließlich beendet war, wurde es schon dunkel. Hopton Fellwater sah zu den Fenstern mit den blauen Vorhängen und dann zu Bunny, der gerade gähnte. »Zeit, zu gehen«, sagte er.
    Bunny erhob sich gehorsam und sah sich nach seinem Hut um. Doch dann entstand eine Pause, weil es irgendwie nicht richtig schien, diese Fremden einfach so ziehen zu lassen, hinaus in

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