Die Farbe der Träume
Übrige endlich wuchs und gedieh. Selbst der Weizen, den Joseph auf seinen komisch geformten Feldern ausgesät hatte, war gekommen, zwar recht dünn und spärlich, aber er bildete immerhin schon einen zarten Flaum, der, wenn die Sonne zwischen den Wolken hervorkam, blassgrün schimmerte.
Harriet pflanzte und hackte. Dorothy Orchard hatte ihr Erdbeerpflanzen, Johannisbeer- und Stachelbeerbüsche geschenkt. Im Wald holte sie sich Äste vom Teebaum, schnitt sie zurecht und baute daraus ein Gerüst für ihre Bohnen. Ihre Zwiebelpflanzen sahen in dem dunklen Boden wie adrette grüne Springbrunnen aus. Weiße Blüten zeigten sich auf ihrem Kartoffelfeld. Die ersten Karotten ließen sich schon ernten und waren so süß, dass sie sie roh aßen. Mit einem Mal lag ein Duft über dem Gemüsegarten, der Harriet an bestimmte Abende in England erinnerte. Es war der Duft von etwas, das Dauer versprach.
Zum ersten Mal froren sie nicht mehr im Lehmhaus und aßen häufig bei offener Tür zu Mittag, so dass die Sonne den Lehmboden trocknen konnte. Die Grillen begannen zu lärmen, und sie hörten Vögel, deren Gesang sie noch nicht kannten. An einem Flachsbusch unter einem der Fenster öffneten sich die ersten orangefarbenen Knospen. Wenn Regen fiel, war er warm und reichlich.
Lilian holte ihre Nähmaschine hervor und machte sich daran, Vorhänge zu nähen. Sie hatte von den Teestubenbesitzern in Christchurch, bei denen sie die Nacht auf dem Sofa verbracht hatte, »sehr günstig« einen Ballen blaues Tuch erworben. Jetzt saß sie mit dem Kopf so dicht über der Maschine, dass ihre Nase fast das N vom eingravierten Wort SINGER berührte, schob mit ihren weißen Händen den Stoff geschickt weiter, und es entstanden jene perfekten Säume, auf die sie in ihren Tagen in Parton Magna, wo sie Möbelschonbezüge aus grünem Brokat genäht hatte, so stolz gewesen war.
Dass es noch gar nichts gab, woran die Vorhänge aufgehängt werden konnten, hatte Lilian nur kurz beununruhigt. Sie würde Joseph einfach so lange bearbeiten, bis er eine Lösung für die fehlenden Stangen und Ringe fand. Sie erinnerte ihn daran, dass »dieses ganze Unternehmen Fantasie verlangt«, und versprach, sie werde keine Ruhe geben, bis Stangen angebracht seien. »Du hast doch die Fenster gebaut«, fügte sie ärgerlich hinzu, als handelte es sich dabei um etwas irgendwie Verwegenes und Unnötiges.
Weihnachten fiel mitten in eine kurze Hitzewelle. Lilian hatte auf eine Einladung ins Orchard-Haus gehofft, was dem Tag etwas Großzügiges und Würdevolles verliehen hätte – abgesehen davon, dass nicht sie, sondern Janet sich um den Abwasch hätte kümmern müssen. Doch die Orchards luden nur Menschen ein, die während der Weihnachtszeit auf der Farm arbeiteten, für andere hatten sie nicht genügend Platz.
Harriet schmückte die Küche mit schlichten Mitteln. Schnüre wurden an die Wände genagelt und direkt unter der Decke straff gespannt. Und hinter die Schnüre wurden bündelweise grüne Farnwedel geklemmt und so zurechtgezupft, dass sie eine Girlande bildeten. Die Farnwedel rochen sehr streng, »abernicht unangenehm«, wie Lilian bemerkte. Sie selbst schnitt Bänder aus ihrem blauen Tuchballen und band sie als Schleifen an die Schnüre. Diese Bänder entpuppten sich dann auch als Lösung zum Anbringen der Vorhänge. Joseph setzte Stangen aus Teebaumholz über die Fenster, und Lilian nähte Schlaufen an die Vorhänge.
»Sie lassen sich nur sehr langsam zuziehen«, sagte Lilian, »aber das macht im Grunde nichts. Zeit ist das einzige, wovon wir hier wirklich reichlich haben.«
Am Weihnachtsmorgen sah die Lehmhaus-Küche wie ein richtiges, normales Zimmer aus, so nett wie noch nie, und während Harriet den Herd mit Kohlen belud, weil sie zwei Stockenten zubereiten wollte, gestattete sie sich ein Gefühl von Stolz auf alles, was sie gemeinsam geleistet hatten. Bald würden sie Gemüse, Schinken und Butter verkaufen können und dafür Hammelfleisch und Kohlen bekommen. Joseph hatte schon von einem Pferd zu reden begonnen, und Harriet träumte während ihrer Arbeit von diesem Pferd. Sie würde in die Berge reiten. In den Wäldern würde sie Ziegensittiche fliegen sehen.
Während sie die Enten würzte, sie mit Salz einrieb und zuband, wo der Hals abgeschnitten war, fielen ihr die Reiher auf dem Teedosenetikett wieder ein und dann auch die Teedose selbst, die sie nie gefunden hatte. Josephs Geheimnis, seine Goldsuche, war jetzt offengelegt, ihres aber verbarg sie
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