Die Farbe der Träume
begann Will wieder von seiner Zeit als Lehrling bei dem Beerdigungsunternehmer zu reden. Häufig habe er, so erklärte er Joseph, dabei geholfen, »die Toten mit allem Pomp herauszuputzen«, und er lachte sein spöttisches Lachen, während er erzählte, wie »wir manchmal den Auftrag hatten, einer alten Hexe ihr Hochzeitskleid anzulegen, und dann war das oft schon halb verrottet, oder wir mussten es aufschneiden, damit es auch über ihre fetten Hängetittenpasste. Aber ein Sarg verbirgt jede Menge Sünden, Mister Blackstone, weil man nicht die Rückseite der Dinge sieht, also gibt es da manchmal Stecknadeln oder Klebestreifen, die alles zusammenhalten, aber die Vorderseite, die die Lebenden zu sehen bekamen, wenn sie Abschied nahmen, sieht immer nett und adrett aus.«
»Und was ist mit den Männern?«, fragte Joseph. »Wie wollten die gekleidet sein?«
»In Schwarz. Als wären sie Gäste auf ihrer eigenen Beerdigung! Aber wenn man das Band nicht umgebunden hatte, kam manchmal das Füllmaterial aus dem Mund, und es gab Flecken auf dem Hemd oder der Halsbinde.«
»Das Band?«
»Das ist so was wie Buchbinderleinen, das man um das Kinn legt und oben auf dem Schädel strammzieht und mit Haken und Ösen verschließt, damit der Mund nicht aufklappt. Aber mein Chef Mr da Costa, der war sehr stolz darauf, dass er den Kopf im genau richtigen Winkel nach hinten kippen konnte, so dass man ihn nicht mit dem Band entstellen musste. Denn die Verwandten, die sehen solche Tricks nicht gern. Sie wissen, dass man Tricks anwenden muss, manche jedenfalls, aber sie wollen sie nicht sehen.«
Joseph schwieg eine Weile, dann sagte er: »Wieso machen wir nicht aus ein paar von den kurzen Platten einen Sarg für unsere Nahrungsmittel? In der Nacht gab es …«
»Ratten«, sagte Will. »Die kann man nicht überlisten. In Otago hab ich Männer mit Säcken über dem Gesicht schlafen sehen, die die Ratten fernhalten sollten, und das war so ziemlich die blödeste Idee, die mir je begegnet ist. Denn was war vorher in den Säcken? Natürlich Mehl oder Haferflocken oder Reis, und deshalb kamen die Ratten, um die Reste aufzulecken, und einem Mann wurde glatt die Nase weggebissen. Aber der hat auch ohne Nase weiter nach Gold gegraben und fand sogar ein bisschen was. Und er dachte, damit könnte er sich eine Brautkaufen. Aber keine Braut wünscht sich einen Mann mit einem halben Gesicht, hab ich Recht?«
»Vermutlich. Aber mit Nägeln und Brettern könnten wir doch eine Art Kiste für die Vorräte bauen und sie in die Erde versenken …«
»Wir können es versuchen, Mister Blackstone. Aber sie werden trotzdem kommen, warten Sie’s nur ab. Es sind ja nicht nur die Lebensmittel, die stinken. Wir auch. Und sie wittern den menschlichen Geruch aus großer Entfernung.«
Nur wenig später blickte Joseph zum Fluss hinunter, blickte wieder zu seinem Claim und zu dem kleinen Zelt, das in der Morgensonne auf dem kleinen Grasstück stand, und sah eine Gestalt, die sich dorthin bewegte.
Die Gestalt war aus dem Busch gekommen. Es war ein Mann, und er hatte eine Pelzmütze auf dem Kopf, und auf den Schultern trug er einen Bambusstock, an dessen beide Enden je ein Weidenkorb gebunden war, und an seinem Gang konnte Joseph erkennen, dass die Körbe schwer waren.
Will ließ die Axt sinken und starrte den Fremden an. »Ich wette, das ist ein Johnny«, sagte er.
»Ein Johnny?«
»Chinesen-John. Ein Himmlischer. Ein Schlitzi. Nur die Johnnies tragen die Körbe so. In Otago hat es zum Schluss von ihnen gewimmelt. Die haben immer da gegraben, wo die richtigen Schürfer schon durch waren. Hat denen nichts ausgemacht, in dem herumzustochern, was andere hinterlassen hatten.«
Joseph und Will beobachteten den Mann. Als er bei ihrem Claim angekommen war, blieb er stehen und setzte seine Körbe ab.
»So«, sagte Will. »Und jetzt versucht er bestimmt, was zu klauen und in seinen Kiepen verschwinden zu lassen. Sie werden sehen.«
Joseph musste an die Chinesen auf der Wallabi denken, dieauf ihrer kleinen Lampe Reis gekocht und sich abseits der Menge gehalten hatten, als gehörten sie in eine andere Welt. Und jetzt sah er – selbst aus dieser Entfernung –, dass der Mann etwas von jener Beherrschtheit hatte. Sie lag in der ruhigen Art seiner Fortbewegung und in der Art, wie er versucht hatte, trotz der schweren Körbe aufrecht zu gehen. Er sah, dass der Mann noch ein wenig näher an das Zelt herantrat und etwas rief, was er nicht verstehen konnte. Dann blieb der
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