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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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drückte das Papier an die Lippen.
    »Soll Ihnen wohl Glück bringen, der Kuss?«, fragte Will lachend. »Sie glauben, das hilft, Mister Blackstone?«
    Joseph maß die Fläche, für die er sich entschieden hatte, nicht nur einmal, sondern viele Male. Wo an der Grenzlinie große Steine lagen, führte er das Seil außen um sie herum und gewann auf diese Weise hier und da ein paar Zentimeter hinzu. Denn die Steine ließen sich ausgraben, und es hieß, das Gold sitze direkt darunter, als würde es die Steine am Boden festkleben.
    Als alle Pflöcke eingeschlagen und alle Seile gespannt waren, betrachtete Joseph seinen Claim. Zweiundzwanzig Quadratmeter. Das Gelände reichte bis hinunter ans Nordufer des Flusses und endete in einem kleinen Kiesstrand. Falls ein anderer Goldgräber sich ein entsprechendes Stück am Südufer absteckte, würden Josephs Schürfrechte nur bis zur Mitte der Strömung gelten. Aber erst einmal gehörte dieser Teil des Flusses ganz ihm, und ein angenehm flacher Stein am Rand würde »einen schönen Hocker zum Angeln« abgeben, hatte Will befunden.
    Beim Abstecken der Fläche hatte Joseph an die ersten Tage in der Okuku-Ebene denken müssen. Als er damals den Platz fürdas Lehmhaus aussuchte, hatten ihn die Weite der leeren Täler und die Erhabenheit der Berge beeindruckt. Jetzt saß er allerdings eingeklemmt in einem schmalen Landkorridor zwischen dichtem Buschland und Meer, und das Gefühl von endloser Weite hatte hier eine andere Qualität. Nur die grundsätzliche und nicht zu beantwortende Frage war dieselbe geblieben: Hatte er sich für den richtigen Platz entschieden? In der Okuku-Ebene hatte er sein Haus in einer Windschneise errichtet; beging er hier einen ähnlichen Fehler?
    Er beschloss, auf seinem Claim so vorzugehen, dass er am Fluss mit der Arbeit begann, an der Ost- oder Westgrenze aber einen Streifen fester Erde frei ließ, auf dem er so viel Aushub wie möglich zum Wasser karren würde. Er wollte nicht inmitten seines eigenen Drecks arbeiten; er wollte, dass der Fluss ihn wegtrug – zum Lager der Schotten hinunter und noch weiter bis nach Kaniere. Dieser Gedanke gefiel ihm. Er hatte sich an die Spitze der Kokatahi-Schürfungen gesetzt.
    Ein Gutteil des Tages lag noch vor ihm, und so schaffte er seine Waschwiege ans Ufer und fing an, Schlamm hineinzuschaufeln und ihn durchzuwaschen. Jetzt bin ich ein echter Goldgräber, dachte er, ein Frischling, ein Schürfer, ein Schatzsucher.
    Und es schien, als sei alles, was er in Neuseeland getan, alles, was er bisher erreicht hatte, eine Vorbereitung für diesen Augenblick gewesen. Jetzt würde er sein Glück machen. Jetzt würde er sich eine neue Zukunft ergraben. Und wie er da so über seine Waschwiege gebeugt stand und die Sonne ihm auf Nacken und Rücken schien, war er glücklich.
    In der Nacht hörte Joseph ein Quieken und Rascheln draußen vor dem Zelt, und er wusste, dass die Buschratten gekommen waren. »Du kannst ein Loch graben und deine Vorräte da reintun«, hatte ein Passagier auf der Wallabi gesagt, »und die Buschratten riechen es trotzdem kilometerweit.«
    Aber Joseph war zu müde, um aufzustehen und seine Flinte zu holen. Sollten sie heute Nacht ruhig den Speck essen. Morgen würde er mit dem Graben von Schächten beginnen und so allmählich bis zum blauen Ton vordringen. Morgen würde er etwas ganz Raffiniertes austüfteln, um die Ratten zu überlisten.
    Er schloss die Augen und sank wieder in Schlaf. Er spürte noch, dass Will neben ihm wach war, aber er drehte sich nicht zu ihm um.
    Im Nebel, der sich mit dem Morgen wieder einstellte, begannen sie, im Buschland Kiefern zu fällen und daraus Bretter oder »Platten«, wie die Schürfer sie nannten, zum Aussteifen der Schachtwände zu sägen. Joseph erklärte Will, er werde sich auch eine Handwinde bauen. Er besaß keine Kette, dachte aber, ein Seil würde es auch tun.
    Er wusste, dass all diese Vorbereitungen als »tote Arbeit« galten. Solange man auf diese Weise beschäftigt war, kam nichts herein, aber ohne diese Arbeit konnte man einen Claim nicht effizient bewirtschaften. Und Joseph wollte sein Land zu einem Musterbeispiel an Systematik machen, alles so sorgfältig und methodisch anlegen, dass jeder Zentimeter Boden ausgegraben und gesiebt werden konnte. Und angesichts seiner bescheidenen zweiundzwanzig Quadratmeter wurde ihm jetzt auch klar, wie chaotisch und unwirtschaftlich seine ersten Schürfversuche am Harriet-Bach gewesen waren.
    Während sie hackten und sägten,

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