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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Enten können aber auch fliegen.«
    Joseph lächelte. Er zeigte zu den Claims weiter flussaufwärts, wo die Ladewinden sich drehten. »Was haben die da denn bis jetzt rausgeholt? Haben die was verraten?«
    »Reicht angeblich gerade zum Leben. Nur ein paar Pennies wert. Aber welcher Schürfer würde schon mehr zugeben?«
    Jetzt schob der zweite Schotte seinen Hut in den Nacken und wischte sich die Stirn mit dem Ärmel. »Schürfer sind die haarsträubendsten Lügner auf Gottes weitem Erdboden, Mister. Hat Ihnen das keiner erzählt?«
    »Das braucht man mir nicht zu erzählen …«, meinte Joseph.
    »Die lügen doch schon von Natur aus . Jeder Einzelne von ihnen. Und wir werden Sie auch anlügen, wenn wir fündig werden, was, Hamish?«
    »Ganz genau. Wir werden Sie und alle anderen anlügen. Und wir wollen auch nicht ausgespäht werden. Sie werden sich hübsch fernhalten. Und sagen Sie Ihrem Jungen, dass er nicht mitten in der Nacht seine verdammte Blechflöte spielen soll.«
    Joseph ließ sich nicht einschüchtern. »Und eure Mundharmonika? Bleibt die dann auch stumm?«
    »Um zwei Uhr früh ist die stumm, Mister. Aber unsere Lieder werden wir spielen. Lieder von zu Hause. Die Engländer haben noch nie Wert auf unsere Lieder gelegt, nicht den geringsten. Also gehen Sie woanders hin, wenn die Ihnen Angst machen.«
    »Die machen mir keine Angst.«
    »Kaniere ist voll von Engländern. Wieso gehen Sie nicht dahin zurück?«
    »Weil wir von der Ente gehört haben«, antwortete Joseph. »Aber was für eine Ente war das? Hat euch denn niemand erzählt, dass es in Neuseeland viele Vögel gibt, die vergessen haben, wie man fliegt?«
    Joseph drehte sich um und ging weg, froh, dass er die Feindseligkeit der Schotten so gut pariert hatte. Und er brauchte sich nicht umzuschauen, um zu wissen, dass die Männer ihm keine Beachtung schenkten und ihm nicht hinterhersahen, sondern in ihrer Arbeit fortfuhren. Er würde seinen Claim wohl in jedem Fall an einer Stelle abstecken müssen, wo sie ihn nicht sehen konnten, einer Stelle, wo er sie so vollkommen vergessen würde, wie sie ihn vergessen wollten.
    Der Nebel hing über dem Fluss, kroch in die Bäume am anderen Ufer und trieb manchmal auch dorthin, wo Joseph vor der Öffnung seines Zelts saß, Kaffee trank und Kekse und Speck aß. Es war fast windstill, so dass er es von den Bäumen tropfen hören konnte – ein Geräusch, das ihn melancholisch stimmte.
    Er sah nicht zu Will hinüber. Er war froh, dass der Nebel hin und wieder vom Wasser aufstieg und so dicht wurde, dass Will fast ganz aus seinem Blickfeld verschwand. Denn die Erinnerung an die vergangene Nacht lastete schwer auf seiner Seele, so schwer, als zöge ihn ein großes Gewicht ins Wasser: Wills Mund auf seinem; die glatte Geschmeidigkeit seines Körpers; die laszive Weise, in der er über ihm gekniet und sein eigenes Geschlecht in der Hand gehalten hatte, um vorzuführen, wie es sich aufbäumte und spreizte. Joseph hätte niemals gedacht, dass er so etwas erregend finden könnte, doch sogar jetzt, beim bloßen Gedanken daran, rauschte sein Blut, und die Knochen in seinen Schenkeln schmerzten – diese so veränderten, schweren Knochen. Und er wusste, es lag etwas Beschämendes darin, über das er im Moment nicht nachdenken mochte.
    Also sah er nicht zu Will hinüber, der laut seinen Kaffee schlürfte und die Kälte verfluchte. Und wieder betete er, dass er sich für einen guten Claim entschied und Gold fand, weil er Will nur so zum Bleiben bewegen konnte. Denn inzwischen war ihm klar, dass Will Sefton seine »Dienste« an fast jeden einsamen Mann von hier bis zur Mündung des Grey verkaufen könnte. In der Nacht hatte er sich gebrüstet, dass er unter den Schürfern in Otago »zwei Verehrer hatte, die im Schlamm wie Hunde übereinander herfielen, wie Köter, Mister Blackstone, wie Kampfhähne, und der eine hat sich das Hirn zu Brei schlagen lassen.«
    »Warst wohl stolz darauf?«, hatte Joseph kühl gefragt.
    »Ja, darauf war ich stolz«, hatte Will erwidert und seine Blechflöte genommen und sie sanft mit seinen Lippen gestreichelt und ihr, sehr nah an Josephs Ohr, das allerzarteste leise Wispern entlockt. »War ein Zeichen für mein Talent. Zeichen dafür, dass ich der Beste in meinem Geschäft bin. Danach konnte ich die Preise diktieren.«
    Der Mond hatte so hell geschienen, dass Joseph trotz der nächtlichen Dunkelheit alle Konturen und Bewegungen klar erkennen konnte. Und er hatte Will ins Gesicht geschaut undwieder an

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