Die Farbe des Himmels
öffnen lassen wollte.
»Ich bin Exportchefin unserer Firma und kümmere mich um die Geschäfte in Europa und den USA. Zu unseren Kunden gehören große Modehäuser. Diese Woche war ich in Paris, danach einen Tag in Rom und zwei Tage in Genf. Zuletzt habe ich unsere Geschäftsfreunde im Tessin besucht.«
Messmer kratzte sich am Kinn. »Wie heißen diese Freunde?«
»Es ist eine Familie namens Maschio. Mein Vater ist mit Paolo Maschio seit der Schulzeit eng befreundet. Wenn ich in der Nähe bin, besuche ich die Familie in Lugano.«
»Und Sie kommen jetzt direkt von dort?«
»Das sagte ich doch.«
»Haben Sie bei diesen Freunden übernachtet?«
»Nein, ich war im Hotel ›Bellevue au Lac‹.«
»Mit welcher Fluggesellschaft sind Sie geflogen, Frau Hauser? Und wann sind Sie in Stuttgart gelandet?«
»Ich bin heute Morgen um sieben Uhr zehn mit einer Maschine der Swiss angekommen.«
»Sieben Uhr zehn«, sagte Messmer gedehnt und sah auf die Uhr. »Jetzt ist es fast elf. Sie wollen mir sicher nicht erzählen, dass Sie für die paar Kilometer vom Flughafen bis hierher fast drei Stunden gebraucht haben?«
»Natürlich nicht.« Helene Hausers Blick stellte unmissverständlich klar, was sie von Messmer hielt. »Mein Koffer war in Zürich liegen geblieben, und ich musste auf die nächste Maschine warten.«
Messmer wechselte einen kurzen Blick mit Thea, die sich eine Notiz machte.
»Können Sie sich vorstellen, wer ein Interesse am Tod Ihres Mannes haben könnte?«
»Nein.«
»Hatte er irgendwelche Feinde?«
Frau Hausers Blick wurde so kalt, dass Thea beinahe erwartete, Eisblumen an den Fenstern wachsen zu sehen. »Als Geschäftsmann konnte Wolf sich keine Feinde leisten. Er war immer bestrebt, Geschäftsfreunde zu gewinnen.«
»Und privat?«
»Als Geschäftsführer unserer Firma ging Wolf voll in seinem Beruf auf. Er hatte kein Privatleben.«
Wer’s glaubt, wird selig, dachte Thea. Für so ein tristes Dasein, wie seine Frau es ihnen gerade weismachen wollte, war dieser Mann einfach zu attraktiv gewesen. Ihr Blick hing an einem großen, runden Kaktus in der Ecke neben der Tür. Sie erinnerte sich, diese Gattung schon im Gewächshaus der Wilhelma gesehen zu haben. Sie wurde im Volksmund »Schwiegermutterschemel« genannt. Wenn die Schwiegermutter vom Schlag Helene Hausers war, machte diese Bezeichnung tatsächlich einen Sinn.
»Danke, Frau Hauser. Wir werden in den nächsten Tagen sicher noch einmal auf Sie zukommen. Und von Ihren Mitarbeitern brauchen wir natürlich weitere Auskünfte.« Messmer stand auf.
»Wenden Sie sich an unseren Prokuristen, Herrn Klenk. Er ist seit mehr als dreißig Jahren bei uns.« Helene Hauser klang erschöpft. »Wenn Sie erlauben, ziehe ich mich jetzt zurück.«
*
»Schönen guten Tag, alle miteinander!« In der Tür des Arbeitszimmers stand der Gerichtsmediziner Professor Dr. Herbert Krach von der Universität Tübingen. »Die B 27 war doch wirklich mal frei heute.« Er stellte seinen Instrumentenkoffer auf einem chintzbezogenen Stuhl ab und gab Thea die Hand. »Sie sind also die Neue?«
Thea lächelte und wollte gerade sagen, dass sie sich bereits vor einigen Wochen im Dezernat kennen gelernt hatten, doch der Professor wandte sich seinem Koffer zu und streifte ein paar Plastikhandschuhe über. »Ja, ja, der Genosse Tod macht auch vor Geld und Macht nicht Halt«, murmelte er vor sich hin.
Krach stammte aus dem Osten der Republik, was sich deutlich in seinem Sprachgebrauch manifestiert hatte. Er war ein hochgewachsener Mittfünfziger, dessen eng stehende graue Augen prüfend durch die randlose Brille blickten. Seine etwas zu lang geratene Nase war schmal, und die Nasenlöcher wirkten, als hätten sie sich schützend zusammenzogen, um die Gerüche abzuwehren, denen sie täglich ausgesetzt waren.
»So hat also der Kapitalismus wieder mal ein neues Opfer gefordert«, sinnierte er.
»Wir sind noch weit davon entfernt, Näheres über das Tatmotiv sagen zu können. Geld, Macht, Eifersucht – es ist alles möglich«, sagte Messmer.
Wie kann man nur so einen Beruf ausüben, fragte sich Thea. Wer nimmt die Mühen eines Medizinstudiums auf sich, um dann freiwillig für den Rest seines Lebens Leichen zu sezieren? Während ihrer Zeit bei der Schutzpolizei war sie einmal einem Pathologen begegnet, der mein te, die Arbeit eines Arztes sei viel riskanter, solange die Patienten noch am Leben sind. Er sei jedenfalls noch nie wegen eines Kunstfehlers verklagt worden.
»Die
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