Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
einem Menschen, der dermaßen böse, dessen Seele dermaßen schwarz war, so nahe gewesen war? Sie hatte die gleiche Luft geatmet wie dieses Ungeheuer – wie konnte sie das heil und gesund überstehen?
Ehrlich gesagt, hatte Ronnie gar nicht die Zeit, über die ganze Sache nachzudenken. Weder über ihre Verletzungen noch über die Tatsache, dass sie diesem Ungeheuer begegnet war und leicht wie die arme hübsche Leanne hätte enden können. Wenn sie irgendwann dazu kam, würde sie wahrscheinlich für einen Moment völlig ausrasten. Dann aber würde sie die Erinnerung gewaltsam unterdrücken, ihre Emotionen wieder in den Griff kriegen und sich erneut der Aufgabe zuwenden, dieses Arschloch zu fassen.
»Sie werden dir nahelegen, dass du darüber sprichst«, sagte Sykes.
»Mit einem Psychologen?«
Er nickte bloß.
»Wahrscheinlich, ja.«
»Vielleicht wäre das keine schlechte Idee.«
»Hat mir noch nie geholfen.«
Jeremy fragte nicht, warum sie zum Psychotherapeuten gegangen war. Das brauchte er nicht, denn er wusste ja, welche Dämonen sie quälten – sie hatte ihm selbst davon erzählt.
Sanft strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schob sie ihr hinters Ohr. Ronnie schluckte schwer, spürte seine Zärtlichkeit, wusste, was er mit Worten nicht sagen wollte, aber in dieser Geste ausdrückte. Und sie vermutete, dass er den Nachmittag in Texas genauso wenig vergessen hatte wie sie selbst und dass er sich auch immer noch fragte, was wohl zwischen ihnen geschehen wäre, wenn sie sich unter anderen Umständen kennengelernt hätten.
»Ich komme da drüber weg«, versprach sie.
»Ja, das weiß ich.«
Endlich lächelte er, und es gelang ihr, sein Lächeln zu erwidern. In seiner bestimmenden und gleichzeitig zärtlichen Art brachte er es fertig, ihr an diesem beschissensten Tag seit Jahren trotz ihrer Schmerzen ein Lächeln zu entlocken.
»Und jetzt sage ich mal Bescheid, dass du wach bist.«
Er wandte sich zur Tür, doch bevor er das Zimmer verließ, erinnerte Ronnie sich an etwas, das er gerade gesagt hatte. Etwas über den Grund seiner Anwesenheit, dass er nicht ihren Fall übernehmen, sondern etwas anderes tun wollte, etwas, das ihr vielleicht noch weniger gefallen würde.
»Hey, Sykes, du hast mir nicht geantwortet. Warum bist du eigentlich hier? Abgesehen davon, dass du meine mentale Wäscheschublade durchstöbern solltest?«
Er schnalzte mit der Zunge und zog eine Braue hoch. »Wieso, Sloan? Ich bin dir auch nicht ansatzweise an die Wäsche gegangen. Oder willst du damit sagen, dass ich nicht weit genug zurückgegangen bin?«
Mit wütendem Blick erwiderte sie: »Falls du noch einmal in meinem Kopf rumbuddelst, solltest du lieber hoffen, dass ich dann tot bin.«
Sein schwaches Lächeln verschwand, und sein Blick bekam eine Hitze, die sie selbst aus ein paar Metern Entfernung noch spürte. »Darüber wollen wir lieber keine Witze machen.«
Ronnie hörte etwas in seiner Stimme – ein Ernst schwang mit, den er sonst selten zeigte.
»Dich so zu sehen, hilflos und verletzt – ach, ich will das einfach nicht noch mal erleben, Sloan. Kapiert?«
Sie nickte einmal, um seine Ernsthaftigkeit zu würdigen, und die Bestimmtheit, mit der er ihr befohlen hatte, nie wieder zuzulassen, dass jemand sie verletzte. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippe und räusperte sich. Ihr Herz setzte kurz aus, und sie musste sich zwingen, die Hand reglos neben sich liegen zu lassen, um sich nicht an den Kopf zu greifen und ihre malträtierte Frisur zu ordnen.
Dieser verdammte Kerl. Er gab ihr das Gefühl … dass ihm etwas an ihr lag. »Danke«, flüsterte sie.
Nach kurzem Zögern murmelte er: »Du hast dich nie mit mir auf einen Drink verabredet.«
»Nein. Stimmt.«
Als sie sich in Texas verabschiedet hatten, hatte Jeremy vorgeschlagen, sie sollten sich in ein paar Monaten treffen, um ihre Notizen über die ersten Erfahrungen mit dem OEP zu vergleichen. Er hatte nicht von einem Kurstreffen gesprochen, sondern nur sie allein eingeladen, und das hatten sie beide gewusst. Jeremy hatte vorgeschlagen, sich auf neutralem Gebiet zu treffen, irgendwo zwischen New York und Washington.
Wenn er ihr zu dem Zeitpunkt schon ein Datum und ein Hotel genannt hätte, hätte sie seinen Vorschlag vielleicht in Erwägung gezogen. Ein One-Night-Stand, und danach hätte sie ihn ad acta gelegt.
Aber als er ihr einige Wochen nach der Ausbildung eine Mail geschrieben hatte, um einen Termin auszumachen, hatte sie ihn abgewiesen. Nicht,
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