Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
Erlebnis hatte Ronnie völlig entwaffnet. Es hatte sie so sehr berührt, dass sie sich ganz zurückziehen musste, um allein mit dieser überraschenden Reaktion klarzukommen.
Sykes hatte sie gefunden. Auf dem Gelände der Polizeiakademie, wo die Ausbildung stattfand, saß sie unter einem Baum. Ronnie konnte sich nicht erinnern, jemals ein so tiefes, wahrhaftiges Gespräch geführt zu haben, wie in den nächsten beiden Stunden mit Sykes. Er hatte sie in einem verwundbaren Augenblick erwischt, und sie ließ ihre Gefühle zu, gestand ihm ihre Zweifel, Befürchtungen und Ängste. Und als hätte sie damit eine Tür zwischen ihnen geöffnet, teilte auch Jeremy sich ihr mit, er vertraute ihr an, welche Anstrengung es ihn gekostet hatte, bei jedem Schritt auf seinem Weg gegen seine reichen Eltern zu kämpfen, um seinem Herzen zu folgen und zur Polizei zu gehen.
Ronnie erzählte ihm von ihren Brüdern und ihrem Vater, und er erzählte von seinen besten Freunden aus der Zeit auf der Akademie, die in die FBI -Zentrale versetzt worden waren. Auch sie waren am 20. Oktober ums Leben gekommen.
Es war ein ganz tiefer, menschlicher Austausch gewesen. Und er hatte mit einer Umarmung geendet, die Ronnie nie vergessen hatte.
Mit Sex hatte diese Berührung nicht viel zu tun gehabt, auch wenn Ronnie wildes Herzklopfen gehabt und ihr ganzer Körper unter Hochspannung gestanden hatte. Die seltsame Anziehungskraft, die Jeremy von Anfang an auf sie ausgeübt hatte, war wieder da gewesen, zusammen mit einem neuen Wissen darum, wer er wirklich war und was ihn bewegte. Und ja, sie hatte seinen festen Brustkorb, seine breiten Schultern und seine kräftigen Hände, die ihr zärtlich den Rücken streichelten, sehr wohl wahrgenommen.
Doch vor allem erinnerte sie sich an die sanfte Vertrautheit ihrer Umarmung. An die Verbindung ihrer Seelen. So etwas passierte bei ihr nicht so leicht, und sie war nie richtig darüber hinweggekommen, dass sie ausgerechnet auf Jeremy Sykes so reagiert hatte, denn schließlich war er der einzige Mensch, den sie kannte, der sie mit Absicht dazu bringen konnte, die Beherrschung zu verlieren. Auch jetzt war sie wieder kurz davor.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie und verdrängte die verwirrenden Erinnerungen.
Er hob die Hände und spielte den Naiven. »Hey, jetzt mach mir keine Vorwürfe. Als klar war, dass du nicht so bald wieder aufwachen würdest, haben die mich mitten in der Nacht aus New York hier hergeschleift.«
»Jetzt sag bloß nicht, dass sie dir einfach meinen Fall übergeben haben.«
Ein Zögern. »Nein, sie haben mir nicht einfach deinen Fall übergeben«, sagte er dann.
Ronnie gestattete sich einen leisen Seufzer der Erleichterung.
»Aber, äh … sie haben was anderes vor. Und weil ich weiß, was du von mir hältst, vermute ich mal, dass du das sogar noch schlimmer finden wirst.«
Wie konnte er denn wissen, was sie von ihm hielt, wenn sie es selbst nicht richtig wusste? Sie hatte viel zu viel Zeit damit verbracht, ihre eigenen gemischten Gefühle für diesen Mann zu verstehen, die von zögernder Bewunderung über Anziehung bis hin zu Abneigung reichten. Mit Ausnahme dieses einen denkwürdigen Zwischenspiels war sie normalerweise hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihm die Fresse zu polieren, und dem Verlangen, ihn flachzulegen und zu ficken, bis er den Verstand verlor, einfach nur, um ihn endlich aus ihrem Kopf zu kriegen. Das Wort verwirrend war dafür viel zu schwach.
Er näherte sich dem Bett, dabei waren seine Augen ständig in Bewegung, musterten sie und wurden kaum merklich schmaler, als er ihren angeschlagenen Schädel betrachtete. Ein Muskel in seinem Kinn spannte sich an, und er biss die Zähne zusammen, als sei er unter seinem unbekümmerten Charme stinksauer, dass sie hier gelandet war, in diesem Zustand.
Da waren sie ja schon zu zweit.
»Was ist denn eigentlich passiert?«, fragte Ronnie. Allmählich kehrten Erinnerungen zurück, aber immer noch etwas verschwommen. Sie hatte die Untergeschosse durchsucht und war dabei auf Leannes Kopf gestoßen, den jemand wie ein groteskes Geschenk mitten in ein leeres Zimmer gelegt hatte. Dann plötzlich unvorstellbarer Schmerz.
»Deinem Download von heute Morgen ist zu entnehmen, dass jemand dich aus dem Dunkeln heraus angegriffen hat. Du hast versucht, dich zu verteidigen, aber er hat dir einen Schlag gegen den Kopf verpasst. Danach warst du bewusstlos, und ich konnte nur noch gegen deine geschlossenen Augenlider sehen.«
Ronnie
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