Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
gesagt, am liebsten wäre er einfach zu Hause geblieben. Vor allem, seit das Baby da war. Lindsay war rund um die Uhr mit den Kindern zusammen, jeden Tag, und er empfand es nicht nur als Verpflichtung, abends nach Hause zu fahren und seinen Beitrag zu leisten, sondern er gehörte auch zu den jungen Vätern, die eine Schwäche für kleine Kinder hatten. Und insbesondere liebte er seine eigenen Kleinen. Schon als die Familie nur aus Lindsay, dem jetzt vierjährigen Michael und ihm selbst bestand, war es wunderschön gewesen, aber seit Sarahs Geburt vor drei Monaten war es einfach perfekt. Seine Tochter hatte schon jetzt ein Riesenstück seines Herzens für sich erobert.
In einer verräucherten Bude zu hocken und mit ein paar furzenden Kerlen Bier zu trinken, konnte da einfach nicht mithalten.
Aber in dieser Woche war ihr Treffen auf ein besonderes Datum gefallen. Er hatte nicht nur ein großes Projekt unter Dach und Fach gebracht, an dem er monatelang gearbeitet hatte, sondern auch endlich die Beförderung erhalten, für die er sich den Arsch aufgerissen hatte. Das bedeutete eine ordentliche Gehaltserhöhung. Und folglich hatte er nicht Nein sagen können, als seine Kumpel darauf bestanden, dass sie heute Abend in der Wohnung eines Freundes im Stadtzentrum mit ihm feiern und darauf anstoßen wollten.
Lindsay war es recht gewesen. Als er zu Hause angerufen hatte, um es ihr zu sagen – oder um sie zu fragen – , war sie ganz euphorisch gewesen wegen seiner guten Nachrichten. »Doch, da musst du natürlich hin«, hatte sie gesagt. »Viel Spaß!«
»Wenn du dir sicher bist … «
»Doch, natürlich bin ich mir sicher!«
»Gut, Schätzchen. Ich bring’ dir Cannoli mit, versprochen.«
»Ach, bitte nicht«, widersprach sie. »Ich will doch gerade den Rest Babyspeck loswerden. Mit deiner Gehaltserhöhung können wir uns am Labor Day einen Ausflug ans Meer leisten, und ich will im Badeanzug wenigstens einigermaßen anständig aussehen.«
Ryan lachte. »Du bist schön!«, sagte er und meinte das von ganzem Herzen. In seinen Augen war Lindsay schön und würde es auch immer bleiben, ob sie nun genauso aussah wie an dem Tag, als sie sich kennengelernt hatten, oder so wie jetzt, mit Schwangerschaftsstreifen, Brüsten voller Milch und fünf Kilo mehr, oder später mit neunzig, am Ende eines langen, wunderschönen gemeinsamen Lebens.
»Danke«, sagte sie. »Aber das ist mein Ernst. Keine Cannoli. Versprichst du mir das?«
»Versprochen.«
»Schön. Und jetzt zieh los. Viel Spaß. Aber benimm dich. Denk dran, ich kenne das Passwort für deinen Computer und kann das nachprüfen.«
Er hatte über diese scherzhafte Drohung gelacht, denn sie war ihm vertraut. Lindsays Warnung, sie könne ihn kontrollieren, war zwar witzig gemeint, entsprach aber der Wahrheit. Wenn sie wollte, konnte sie sich seine Downloads anschauen und jede Sekunde seines Tages nachprüfen.
Manchmal wusste er nicht recht, was er davon halten sollte. Aber die finanziellen Vorteile bei der Teilnahme am Optical Evidence Program waren erheblich, und hinzu kam die Beförderung in seinem Beamtenjob, sodass er damit jetzt wie ein echter Teamplayer wirkte, der an die Zukunft und an seine Familie denkt. Das bestätigte ihm, dass er sich richtig entschieden hatte. Außerdem würde er das Vertrauen seiner Frau natürlich niemals missbrauchen. In ihrem gemeinsamen zweiten Jahr auf dem College hatte sie sein Herz gewonnen, und seitdem hatte er sich nach anderen Frauen nicht einmal mehr umgedreht.
Lindsay hatte keinen Zugang zu streng geheimen Dokumenten, so wie er hier in seinem Job im Arbeitsministerium in Philadelphia. Aber seine Frau hatte seine Entscheidung, sich als Testperson für das OEP zur Verfügung zu stellen, mitgetragen. Vermutlich war es auch unabdingbar, dass die Partner ihr Einverständnis gaben, denn über die Downloads war es Außenstehenden ja möglich, ganz intime Momente mitanzusehen.
Lindsay hatte sich deswegen nie einen Kopf gemacht, nur wenn sie sich liebten, witzelte sie hin und wieder mal, dass sie für die Kamera hübsch sein wollte. Aber das war wirklich bloß ein Scherz. Ryan brauchte seine OEP -Daten nicht täglich herunterzuladen, nur einmal in der Woche, damit die Forscher überprüfen konnten, ob alles richtig funktionierte. Bei ihm war das der Donnerstagmorgen, was bedeutete, dass sie sich am Abend vorher nie liebten. Seine Pokerspiele alle zwei Wochen waren wohl das einzige Interessante, was die Forscher an dem Abend zu sehen
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