Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
bekamen, denn Lindsay ging mittwochs immer mit einem Flanellnachthemd, Lockenwicklern und Gesichtscreme ins Bett.
Was bedeutete, dass er heute Abend keinen Sex haben würde – aber das war nichts Besonderes, denn seit Sarahs Geburt liebten sie sich ohnehin nur noch sporadisch. Doch irgendwann in nächster Zeit würde sich das wieder normalisieren, und bis dahin war Ryan glücklich, wenn er seine schöne Frau einfach in den Armen halten konnte, während sie ihr schläfriges Töchterchen stillte.
»Okay, Leute, ich muss Schluss machen. Muss nach Hause und in die Heia«, erklärte Ryan. »Vermutlich wird Lindsay mich heute Nacht um zwei zum Füttern verdonnern, aus Rache, weil ich so lange weggeblieben bin.« Er stand auf und bedankte sich bei den befreundeten Kollegen, die in der Wohnung seines Kumpels Dan immer noch um einen Spieltisch versammelt waren.
»Nee, du darfst noch nicht abhauen«, widersprach Dan. »Es ist doch noch nicht mal zehn.«
»Es ist nach elf«, sagte Ryan lachend. »Sie macht Hackfleisch aus mir, wenn ich mich jetzt nicht auf die Socken mache.«
»Pantoffelheld«, rief einer der anderen Männer.
»Ich will’s ja gar nicht anders.« Das war Ryans voller Ernst.
Seine Freunde wollten sein Angebot, sich an den Kosten für Bier und Pizza zu beteiligen, nicht annehmen, und er winkte zum Abschied, als er das typische alte Stadthaus verließ. Dan wohnte mehrere Blocks von dem Parkhaus entfernt, in dem Ryan seinen Wagen normalerweise abstellte, wenn er zur Arbeit fuhr, und nach Feierabend waren sie alle gemeinsam zu Fuß zu Dans Wohnung aufgebrochen. Jetzt eilte Ryan mit raschen Schritten den gleichen Weg zurück. Im Geiste zählte er die Bierchen, die er getrunken hatte, und überlegte, wann er das letzte zu sich genommen hatte. Insgesamt waren es nur wenige gewesen, verteilt über mehrere Stunden, und er glaubte nicht, dass sie ihn in irgendeiner Weise beeinträchtigten. Doch er rechnete sich die Alkoholmenge und die Zeiten genau aus, denn er wollte sichergehen. Nicht nur, weil er es Lindsay versprochen hatte, sondern auch, weil er ein vorsichtiger Mensch war. Sein Leben war so schön, dass er es unter keinen Umständen aufs Spiel setzen wollte.
»He, du Arsch, guck doch, wo du hingehst!«, rief eine Stimme. Ein lautes Hupen begleitete die Worte.
Ryan machte einen Satz rückwärts, als ihm bewusst wurde, dass er gerade angefangen hatte, bei Rot die Straße zu überqueren. Er schüttelte den Kopf über seine Dummheit und rief zurück: »Sorry, hab gedacht, es wär Grün!«
Der Autofahrer winkte, und Ryan war sich ziemlich sicher, dass er einen hochgereckten Mittelfinger sah. Man musste diese Stadt einfach lieben.
Er kannte ein Gässchen, das eine Abkürzung darstellte, und steuerte darauf zu. Es war gleich um die Ecke bei der kleinen italienischen Bäckerei, in der er normalerweise das Gebäck für Lindsay kaufte. Er hatte sein Versprechen gehalten und heute Abend nichts besorgt, aber es kam ihm seltsam vor, mit leeren Händen nach Hause zu gehen.
Doch dann fiel ihm ein, dass er ja sehr wohl etwas mitbrachte: Er würde mit der Aussicht auf achthundert Dollar mehr im Monat nach Hause kommen.
Bei diesem Gedanken lächelte Ryan. Er erreichte das Gässchen und bog ein. Nach einem Dutzend Schritte wurde er von der Dunkelheit verschluckt, denn die hohen Gebäude rechts und links blockten das Licht ab, sowohl von der Straße, aus der er gerade kam, als auch von der Straße, zu der er hinwollte und die im Moment noch weit weg zu sein schien. In den alten Häusern waren Firmen untergebracht, in den höheren Stockwerken wohl auch einige Wohnungen, aber deren Fenster gingen nicht auf dieses mit Müll übersäte Gässchen hinaus.
Hmm. Vielleicht war diese Abkürzung doch keine so gute Idee gewesen.
In der Innenstadt von Philadelphia gab es sichere und weniger sichere Gegenden. Dieses Viertel war eine Mischung, sodass er zwar nicht mit äußerster Wachsamkeit weiterging, aber doch Augen und Ohren offen hielt. Zur Krönung seines großen Tages überfallen zu werden, hätte ihm ganz und gar nicht gepasst.
Zu horchen, ob jemand ihm folgte, war nicht schwer. Ebenso wie das Licht schluckte der schmale Durchgang auch die lauten Straßengeräusche. Ryan konnte das Dröhnen der Automotoren auf der Chestnut Street kaum noch hören, und er hatte das höchst eigenartige Gefühl, von der Zivilisation abgeschnitten zu sein, obwohl sie nur einen halben Block entfernt war. Dieses versteckte Gässchen musste das
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