Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
hatte. Und mehr als alles andere wünschte Jeremy sich, dass Ronnie nichts mehr davon mitanschauen müsse.
Er selbst hatte so etwas noch nie gesehen.
Wollte es auch nie wieder sehen.
Und er wollte auf jeden Fall nie wieder miterleben, wie eine junge Frau, die erst kürzlich vom selben Psychopathen angegriffen worden war und von diesem Überfall noch geschwächt war und Schmerzen hatte, sich das Gleiche ansehen musste.
»Stopp. Wir können jetzt aufhören«, murmelte er mit trockenem Mund. Achtundvierzig Minuten waren vorbei. Leanne lag auf dem Boden und war seit etwa fünf Minuten allein. Der Mörder war irgendwohin verschwunden. Sie wussten beide, wie die Geschichte enden und was bis dahin noch geschehen würde. Das Ungeheuer mit den schwarzen Schuhen, der schwarzen Hose und der Grubenlampe auf dem Helm würde in zwei Minuten wiederkommen, um seine Arbeit zu beenden.
»Ich kann nicht«, sagte Ronnie. Es klang, als würde sie die Worte zwischen zusammengeklebten Zähnen hervorpressen.
Jeremy griff nach der Fernbedienung, die sie fest umklammert hielt. Sie riss die Hand fort, sah ihn dabei gar nicht an, um den Blick nicht von der dreidimensionalen Projektion wenden zu müssen. »Hör auf«, zischte sie.
»Bitte, Veronica … Ronnie.«
»Wir sind ihr … das … schuldig.« Jedes ihrer Worte klang wie ein kleiner Ausruf. Oder wie ein Schluchzen. »Sie hat es ertragen. Wir müssen uns jede einzelne Sekunde ansehen, denn wir sind es ihr schuldig, alles Menschenmögliche zu tun, um den Mörder zu fassen.«
Gut. Vielleicht musste jemand das tun. Aber musste das ausgerechnet Veronica Sloan sein? Sie war noch ganz zerschlagen und erschöpft von ihrem Zusammenstoß mit diesem bestialischen Psychopathen. Musste man ihr jetzt wirklich um die Ohren hauen, was vermutlich mit ihr geschehen wäre, wenn sie nicht schlauerweise so getan hätte, als wäre sie bei der Durchsuchung des Kellers nicht allein gewesen?
Nein, Ronnie war keine naive junge Verwaltungsassistentin. Sie war hart, zäh und stark. Während der Ausbildung in Texas hatte sie im Kickboxen jeden Gegner, der so blöd gewesen war, sie herauszufordern, fix und fertig gemacht, und Jeremy wusste, dass sie mit Waffen besser umgehen konnte als alle anderen Kollegen, die er kannte – bis auf ihn selbst. Trotzdem hatte sie ein Kantholz auf den Kopf gekriegt. War bewusstlos geschlagen worden. Sie wäre vollkommen hilflos gewesen, wenn die Bestie sich entschlossen hätte, mit ihr die gleichen kranken Spielchen zu spielen wie mit Leanne.
Bei diesem Gedanken packte Jeremy die Armlehnen seines Drehsessels so hart, dass er eine plötzlich in der Hand hatte. Das Knacken erschreckte Ronnie. Sie zuckte zusammen und wandte sich mit einem Ruck von dem Projektionsraum ab und ihm zu.
Er schaute sie an, obwohl er wusste, dass sein Gesicht genau das widerspiegelte, was er gerade gedacht, empfunden und sich ausgemalt hatte. Doch er wandte den Blick nicht ab, denn es war ihm nicht peinlich, und er schämte sich nicht dafür.
Ronnie lag ihm am Herzen. Er kannte sie kaum, und er hatte natürlich nicht das Recht, irgendwelche Forderungen an sie zu stellen. Er hatte die Frau ja noch nicht einmal geküsst.
Aber sie bedeutete ihm so viel, dass er am liebsten losgezogen wäre, den Mann gesucht hätte, der sie verletzt hatte, und ihn mit bloßen Händen zerrissen hätte.
»Okay«, sagte sie schließlich. Sie schaute die Bilder, die bald Leannes furchtbare letzte Minuten zeigen würden, nicht mehr an. »Ich glaube, da gibt es nichts mehr zu sehen.«
»Ich habe für mein ganzes Leben genug gesehen«, knurrte er.
Nur für eins war er dankbar: Leanne Carr hatte während ihrer Ermordung immer wieder das Bewusstsein verloren. Zum Teil hatte sie das, was der Mörder ihr angetan hatte, gesehen, ja, beobachtet. Aber anderes war ihr zum Glück verborgen geblieben. So waren Ronnie und er zwar Zeugen gewesen, wie der Überfall ausgegangen war, aber sie hatten nicht jeden Schnitt der Klinge mitansehen müssen.
Ronnie schaltete die Diashow per Fernbedienung aus. Das letzte, ebenfalls dunkle Bild verschwand, und die Lichter gingen an. Auf dem unschuldig weißen Quadrat auf dem Fußboden war keine Spur mehr von den Horrorszenen zu sehen, die sich während der vergangenen Stunde darauf abgespielt hatten.
»Nichts«, flüsterte Ronnie. »Er hat absolut keine Spuren hinterlassen.«
»Immerhin wissen wir, wie er gekleidet war. Und seine Schuhgröße werden wir auch bald kennen. Wahrscheinlich finden
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