Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
begannen, ihre Notizen über das Gesehene zu vergleichen. Beide achteten sorgfältig darauf, nur in ganz nüchternen Begriffen über die Gräuel zu sprechen. Hätten sie andere Ausdrücke gewählt und ihre Gefühle wieder zugelassen, dann wäre ihr kleines Boot aus dem ruhigen Fahrwasser in Strudel geraten, und Sykes konnte einfach nicht zulassen, dass Ronnie unterging. Nicht, während er Wache schob.
Er hatte Veronica Sloan früher schon verletzlich gesehen – wenn auch nicht so angeschlagen, wie sie es jetzt war – , aber er hatte sie noch nie schwach erlebt. Daher war er nicht überrascht, dass sie in den nächsten zwei Stunden alles andere wegdrücken und sich ganz auf den Fall konzentrieren konnte. Sie machten weitere Notizen, planten, telefonierten, identifizierten bestimmte Bilder und tauschten Ideen aus. Schließlich jedoch konnte Ronnie ihre Müdigkeit nicht mehr unterdrücken.
»Sykes … Jeremy … würdest du mir bitte mal Wasser holen?«
Er kam ihrer Bitte sofort nach. Ronnie bat selten um etwas, und er nahm an, dass sie fix und fertig war, nicht nur geistig, sondern auch körperlich.
Als er zurückkam und ihr den Pappbecher reichte, sah er, dass ihre Hand zitterte. Sie tauchte die Finger ins Wasser und tupfte sich die kalten Tropfen ins Gesicht, verstrich sie auf den Schläfen. Die Kopfschmerzen mussten mit aller Macht zurückgekehrt sein.
»Hast du Schmerzmittel?«
»Ich darf nur rezeptfreie nehmen. Die Ärzte haben gesagt, sie können mir nichts Stärkeres geben, wegen der Gehirnerschütterung.« Ronnie griff in die Tasche und zog eine kleine Musterpackung Ibuprofen hervor. Ihr Versuch, die Packung mit den Zähnen zu öffnen, misslang.
Mit wehem Herzen nahm er Ronnie die Tabletten aus der Hand und öffnete die Packung selbst. Dann schob er ihr die kleinen Pillen in den Mund. Ronnie widersprach nicht einmal, sie öffnete nur die Lippen und nahm sie dankbar an.
Das war der Punkt, an dem er entschied, dass sie genug hatte. Für heute waren sie fertig. Ronnie mochte Theater machen und darüber diskutieren, aber sie würde nach Hause fahren, es sich bequem machen und diesen Tag hinter sich lassen, ob ihr das nun passte oder nicht.
Als er ihr das sagte, machte sie tatsächlich Theater und diskutierte. Doch da sie als Polizistin und kluge Frau den Unterschied zwischen tapfer und stur kannte, stimmte sie schließlich zu. »Dr. Tate hat mir seinen Wagen angeboten … «
»Ich bringe dich selbst nach Hause«, erklärte Sykes.
»Das musst du aber nicht.«
»Es liegt sowieso am Weg. Mein Hotel ist in der City.«
»Woher weißt du denn, dass es am Weg liegt? Du hast meine Adresse doch gar nicht.«
»Natürlich habe ich deine Adresse. Ich bin doch FBI -Agent.«
Zu seiner Überraschung brachte sie tatsächlich ein heiseres Lachen hervor. Doch dann hob sie eine Hand an den Kopf, als verursache das Lachen ihr Schmerzen. Aber die Belustigung in ihren Augen überzeugte Sykes, dass sie bald wieder auf dem Damm sein würde.
»Du Schreckgespenst von einem Stalker.«
»Du Dickkopf von einem Bullenweib.«
»Was sind wir doch für ein tolles Paar.«
Oh ja, sie könnten ein tolles Paar sein. Und eines Tages, vermutete Sykes, würden sie das auch. Aber nicht heute.
»Du fährst nach Hause, gehst ins Bett und verschwendest bis morgen früh keinen einzigen Gedanken mehr an diesen Fall, klar?«
»Du kannst zwar ganz schön viel, Sykes, aber du kannst mich nicht davon abhalten, die ganze Nacht nachzudenken.«
Und ob er das konnte. Doch, er war sich sicher, dass ihm Möglichkeiten einfallen würden, sie eine ganze Nacht lang so zu beschäftigen, dass sie überhaupt nicht auf die Idee kommen würde, über einen Mordfall nachzugrübeln. Doch das ging nicht, solange sie körperlich verletzt und emotional angegriffen war.
Aber sobald Ronnie wieder gesund und munter war und sie diesen Fall abgeschlossen hatten, würde er endlich etwas unternehmen. Er würde über die hohe Schutzmauer klettern, die sie um sich herum aufgebaut hatte. Aber erst, nachdem wieder so etwas wie Normalität in ihren Alltag eingekehrt war. In diesem Raum hier, im Schatten des Projektionssystems, mit den gequälten Schreien in den Ohren, die sein Hirn der Diashow als Soundtrack unterlegt hatte, erschien ihm Normalität wie ein lange zurückliegender Traum.
»Ich vielleicht nicht, aber ich wette, deine Mutter könnte das«, drohte er.
Ronnie stöhnte. Offenbar war ihr klar, dass diese Drohung nicht ernst gemeint war, trotzdem gab sie ihm
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