Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
möglicherweise eine Seite fehlte?
Misstrauisch, wie sie war, konnte Ronnie nicht anders, als das zu überprüfen. Nach einem Doppelklick auf den Namen des Ordners öffnete sich das nächste Menü, und sie fand eine lange Liste mit JPEG -Dateien. Und ein Dokument mit der Bezeichnung »Fotobuch«.
Sie klickte es an, und auf dem großen Bildschirm erschien das Buch. Ronnie erkannte es sofort wieder, Coverfoto und Layout waren genauso, wie sie es neulich in Wilders’ Büro gesehen hatte. Sie klickte sich durch die Seiten, scrollte gähnend die obligatorischen Babybilder und die Fotos vom Ponyreiten am zweiten Geburtstag herunter und suchte nach der Seite, die ihr aufgefallen war. Die Seite mit der halben Strandszene.
Als sie zur Mitte des Buches gelangte, entdeckte sie die gesuchte Aufnahme. Nachdem sie die Ansicht so verändert hatte, dass auf dem Bildschirm zwei Seiten gleichzeitig zu sehen waren, erkannte sie gleich, dass in dem Buch in Wilders’ Büro tatsächlich eine Seite fehlte. Ursprünglich hatte die Aufnahme eine ganze Doppelseite ausgefüllt. Die linke Hälfte des Fotos erkannte Ronnie sofort wieder, die rechte aber hatte sie noch nie gesehen.
Sie studierte die rechte Fotohälfte und fragte sich, was daran so besonders war. Sie konnte nichts Verdächtiges entdecken, nichts, was auf einen Skandal oder ein Geheimnis hätte schließen lassen. Das Foto zeigte einfach eine große Gruppe von Teenagern und jungen Erwachsenen, die am Strand um ein Feuer herumstanden. Insgesamt waren es vielleicht zwanzig junge Frauen und Männer, und sie sahen vergnügt und betrunken aus. Einige von ihnen waren wahrscheinlich am Strand entlangspaziert, andere hatten vielleicht in die Gischt gekotzt, wieder andere waren wohl am Feuer eingeschlafen. Das Foto glich Millionen von anderen Schnappschüssen aus den Frühjahrsferien, die im Internet zu finden waren.
Warum also hatte Wilders es aus seinem Fotobuch herausgerissen?
»Vielleicht hat er das gar nicht selbst gemacht, Dummerchen, vielleicht ist es beim Drucken passiert«, murmelte Ronnie, als ihr bewusst wurde, dass sie Geheimnisse witterte, wo es vielleicht gar keine gab.
Oder vielleicht hatte Leanne es sich ja auch anders überlegt und eine neue Version drucken lassen. Vielleicht hatte sie nur die linke Hälfte des Fotos in das Buch aufgenommen, weil auf dieser Hälfte ihr Chef zu sehen war, Jack Wilders. Er stand fast in der Mitte der ursprünglichen Aufnahme, dicht am Falz, zwischen zwei jungen Frauen, einer rothaarigen und einer blonden. Die eine befand sich auf der linken Seite des Fotos, die andere auf der geheimnisvollen rechten.
»Hmm. Auf einer Seite die Ehefrau, auf der anderen die Ex-Freundin?«, flüsterte Ronnie, weil sie meinte, die Blonde wiederzuerkennen.
Hör auf mit der Zeitverschwendung , sagte eine leise Stimme in ihrem Kopf.
Ronnie kam zu Bewusstsein, dass Sie sich hier verbummelt hatte und aufhielt, weil sie versuchte, den Moment hinauszuzögern, in dem sie die Backups von Leannes Chip fand und mit der mühseligen Durchsicht ihrer letzten Tage beginnen musste. Wie hatte sie sich vor ein paar Tagen nur darauf freuen können? Jetzt, nachdem sie vor wenigen Stunden den schrecklichen Tod der jungen Frau mitangesehen hatte, wollte sie nicht noch weiter in ihr Leben hineingezogen werden. Es war, als würde man von einem Film zuerst das traurige Ende sehen. Zurückzuspulen und die fröhlichen Abschnitte anzuschauen, machte das Ende dann doppelt deprimierend.
Aber das war schließlich ihr Job. Als sie einen Blick auf die Uhr warf, sah sie, dass sie mit ihrer sinnlosen Suche zehn Minuten vertrödelt hatte. Ärgerlich über sich selbst schloss sie die Dateien und Ordner und kehrte ins Hauptmenü zurück. Sie würde genug damit zu tun haben, Leanne Carrs Bilder durchzugehen, da blieb ihr keine Zeit, Spekulationen über alte Geheimnisse ihres Chefs anzustellen.
Ronnie entschied sich, eine Woche vor Leannes Tod zu beginnen. Falls der Mörder sie vor seiner Tat ausspioniert hatte, bestand die Chance, dass er ihr in dieser Zeit über den Weg gelaufen war. Bestimmt hatte er sie beobachtet, um ihre Gewohnheiten kennenzulernen und sicherzugehen, dass er sie an den Ort locken konnte, den er für seine Tat ausgesucht hatte.
Ronnie hängte die Aufnahmen – Tausende und Abertausende – aneinander und stellte die größtmögliche Geschwindigkeit ein. Die Bilder würden vorbeifliegen, sodass sie gar nicht alle würde sehen können, aber sie würde doch das
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