Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
weil du das Krankenhaus ja gegen den Rat der Ärzte verlassen hast«, sagte er, als könne er wieder mal Gedanken lesen.
»Ja«, bestätigte Dr. Cavanaugh. »Und jetzt fahren Sie nach Hause und ruhen sich aus. Morgen wird es Ihnen sicherlich schon viel besser gehen.«
»Ganz bestimmt«, sagte Ronnie, während sie sich ein wenig langsamer als nötig von ihrem Drehsessel erhob. Musste ja nicht sein, dass Jeremy überlegte, ob sie vielleicht noch einen heimlichen Grund gehabt hatte, ihn aus dem Raum zu schicken.
»Ich packe eben meine Sachen«, sagte er, legte seine Papiere und Mappen zusammen und schob sie in seine Aktentasche. Wie Ronnie vorausgesehen hatte, ging er auch zu ihrer Workstation und warf den Datenträger mit Leannes Geschichte aus. Dabei sah er Ronnie gar nicht an. Offenbar glaubte er, sie sei so müde und schmerzgeplagt, dass sie gar nicht daran dachte, heute Abend zu Hause noch etwas zu tun.
Was einfach zeigte, dass dieser FBI -Agent doch keine ganz so gute Beobachtungsgabe besaß, wie allgemein angenommen wurde.
12
Die Autofahrt mit Sykes verlief schweigsam, weil Ronnie so tat, als würde sie wegdösen, damit sie in diesem engen, geschlossenen Raum, wo jeder Atemzug nach Mann schmeckte, nicht mit ihm sprechen musste. Zuhause angekommen, duschte sie lauwarm. Für eine heiße Dusche war es draußen einfach zu heiß, und das etwas kühlere Wasser auf der Haut fühlte sich wunderbar an. So wunderbar, dass sie sich anschließend in bequemen, weiten Klamotten und mit einem kühlen Tuch auf den Augen aufs Bett legte. Sie schlief nicht, sondern entspannte sich nur und befahl ihrem Blut, nicht mehr in den Schläfen zu pochen. Nachdem sie einige Meditationsübungen gemacht hatte, für die sie sonst bloß ein spöttisches Grinsen übrig hatte, spürte sie, wie sie langsam in einen friedlichen Dämmerzustand hinüberglitt und die hartnäckigen Kopfschmerzen nachließen.
Als Ronnie sich besser fühlte, stand sie auf und griff zum Telefon, denn sie wusste, dass ihre Mutter sehr bald auf der Matte stehen würde, wenn sie nichts von ihr hörte. Das Gespräch war verkrampft, denn Christy kam ihr wieder mit: »Warum kündigst du diesen gefährlichen Job nicht?«, und Ronnie schnitt ihr das Wort ab. Sie konnte ihr nicht mehr anbieten, als dass sie eben auf sich aufpassen würde – was Christy aber nicht reichte, nie gereicht hatte und niemals reichen würde.
Um halb neun war sie bereit, wieder an die Arbeit zu gehen. Sie setzte sich mit einem Tiefkühlgericht aus der Mikrowelle an ihren Esstisch und überflog beim Essen die Liste der OEP -Testpersonen. Es gelang ihr, die Namen der bereits Verstorbenen zu finden – bis auf die beiden, die in dieser Woche ermordet worden waren.
Es waren sechs. Alle waren in ihren Dreißigern oder Vierzigern gewesen und innerhalb der letzten beiden Monate gestorben, eines »natürlichen Todes«, wie in ihren Dateien vermerkt war, aber die Todesursache wurde nicht näher bezeichnet.
Hm. Da war etwas faul. Sechs ursprünglich gesunde junge Erwachsene waren in den vergangenen acht Wochen eines natürlichen Todes gestorben? Na gut, statistisch gesehen mochte das möglich sein – Ronnie hatte keine Ahnung, wie viele Todesfälle es normalerweise in dieser Altersstufe gab oder was als »natürliche« Todesursache definiert war. Konnte ja sein, dass man es in manchen Kreisen als »natürlich« bezeichnete, wenn jemand von einem Bus überfahren wurde. Aber in ihren Ohren klang das merkwürdig. Zumal andere Menschen aus der gleichen Gruppe – der Gruppe der OEP -Testpersonen – jetzt gerade auf grausigste Weise ins Jenseits befördert worden waren.
Natürlich gab es noch einen weiteren Unterschied zwischen diesen sechs Personen und ihrem ersten Mordopfer: Die sechs waren alle Männer. Nach den Daten zu urteilen, die Ronnie aus Tates Forschungsinstitut hatte mitgehen lassen, lebten alle weiblichen Testpersonen noch. Offenbar war man bisher nicht dazu gekommen, Leanne Carrs jüngste Daten einzupflegen.
Ronnie wusste zwar, dass es noch mehr zu tun gab – zum Beispiel, die Downloads von Leannes Computer anzusehen – , aber sie konnte einfach das Gefühl nicht abschütteln, dass diese sechs Todesfälle eine Bedeutung hatten. Die Vorstellung, Dr. Tate danach zu fragen, war ihr nach wie vor höchst unangenehm, aber sie wollte auf jeden Fall weitere Informationen dazu haben.
Sie dachte an Philip Tates Angebot vom Nachmittag: Rufen Sie mich jederzeit an, Tag und Nacht . Er hatte gesagt, er
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