Die Farbe Des Zaubers
untergebracht, wo er für sie Augen und Ohren offenhalten sollte, doch seit einiger Zeit nahm er seinen Job zu ernst und biederte sich den Menschen an.
Dann hatte sie natürlich auch noch ihre Schlangen, die sie zeitweilig in Menschen verwandeln konnte (obgleich sich die Freistätter Schlangen nicht besonders dafür eigneten, denn sie waren klein, bei kaltem Wetter schläfrig, und geistig sogar noch schwerfälliger als die Schlangen des Nordens).
Aber es gab ein Paar, dem sie befehlen konnte, Feuer in ihrem Zaubergemach zu machen, ihr die Wasserschale aus Chalzedon zu bringen und sie auf einen Porphyrständer beim Herd zu stellen und dann zu bleiben und zuzusehen und zu warten, während sie Salz in das Wasser schüttete und Worte sprach, die das Salz zu ihrem Willen und die Wasserschale zu den offenen Wunden in Freistatt machte. Keine Wunden des Körpers, sondern Wunden des Geistes — die Kaltschnäuzigkeit von geschworener und nicht gehaltener Treue, das Gift der Habgier, die Verletzungen durch Liebe, die sich im Herzen von Leuten wie Straton einnisteten, wie Randal, wie Kadakithis, des Statthalters, wie seiner fischäugigen Geliebten Shupansea, sogar in Nikos Herzen, durch seine verzehrende Liebe zu zwei Kindern, die er hegte und pflegte wie eine rankanische Amme.
Das Wasser in der Schale wallte auf, als sie das Salz hineinschüttete, dann trübte es sich und blubberte schließlich, daß man glauben konnte, das Salz hätte sich in den Herzen aller in der Stadt in ätzende Säure verwandelt. Das Wasser wurde grauer, undurchsichtiger, und vor ihren hautbespannten Fenstern fing es in großen Flocken zu schneien an.
»Geht, Schlangen«, singsangte sie, »besucht eure Brüder im Palast des Prinzen und freßt sie, dann macht ein Ende mit dem Frieden zwischen der Beysa und ihrem rankanischen Gastgeber. Und findet diese Kinder, beißt sie beide mit euren Giftzähnen, damit der Tod mit schwarzen Schwingen herabstößt und Niko keine andere Wahl hat, als zu mir zu kommen — zu mir, um sie zu retten.« Fast brachte sie die letzten Worte nicht mehr heraus, weil ein Kichern sie unterdrückte — vor allem das Wort >retten<.
Denn als sie in die Schale blickte, hatte sie ein Bild gesehen, dann ein anderes. Das erste hatte ihr Reiter gezeigt und ein Schiff mit einem sprungbereiten Löwen als Galionsfigur. Ein Reiter war ihr Erzfeind Tempus, der Schlaflose genannt, Verkörperung des Gottes der Bosheit; ein zweiter war Jihan Frosttochter, eine gefährlichere Gegnerin, Prinzessin der endlosen See, eine kupferfarbene Nymphe von unvergleichlicher Leidenschaft, ein Naturgeist mit der Kraft von Mond und Gezeiten zwischen ihren Knien; ein dritter war Critias, Strats Partner, der kälteste und verwegendste aller Stiefsöhne und der einzige unter ihnen, der für seine Arbeit nicht die Hilfe Überirdischer brauchte. Und auf dem Schiff, das mit seiner Vergoldung und den leuchtend bunten Segeln wie ein Hochzeitsgeschenk aufgetakelt war, befand sich ein Mann, dem sie geholfen hatte, Herrscher zu werden und der in unbegleichbarer Schuld der Todeskönigin stand — Theron, Kaiser von Ranke, der so versessen darauf war, Roxanes Preis zu bezahlen, daß er nach Freistatt zur Senkgrube des Reiches pilgerte, um sich auf die Knie zu werfen.
O ja, dachte sie da, sollen die Unruhen nur kommen. Denn nachdem sie die Bilder im Salzwasser mit einer ungeduldigen, dunklen Hand aufgelöst hatte, war Roxane eine Idee gekommen, ein Vorhaben, mit dem sie sich für alle Widrigkeiten rächen konnte, die ehemalige und gegenwärtige Bürger Freistatts ihr angetan hatten. Sie erkannte, was sie falsch gemacht hatte, und sah nun eine neue Lösung. Zu viel hatte sie für Nikodemus aufgegeben, der sich gegen sie gewandt und sie abgewiesen hatte. Sie würde diesen Haufen armer Seelen gegen die eine eintauschen, die sie so törichterweise eines Mannes wegen aufgegeben hatte.
Dann brauchte sie nur noch die Schlangen wegzuschicken, das Wasser in der Schale zu trinken und sich mit gespreizten Beinen in die Mitte ihrer Beschwörungskammer zu legen und auf die Dämonen teuflischer Pakte zu warten, auf die Unterhändler der Nekromantie, damit sie nach dem Köder schnappten, den eine Hexe anzubieten hatte. Und dann, wenn sie satt waren, ließen sie sich leichter überlisten, Roxane die Unsterblichkeit im Austausch für den Tod von zwei Kindern zurückzugeben, die zu Göttern werden mochten, wenn sie älter würden, und als Dreingabe den Tod von Nikodemus — er hatte es
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