Die Farben der Finsternis (German Edition)
Und selbst wenn, warum hätte Christian dann diese Nachricht für ihn hinterlassen? Das ergab alles keinen Sinn.
»Denkst du wirklich, ich lasse die Menschen einfach gehen, Cass? Für wen hältst du mich?«
Mr Bright sprach mit sanfter Stimme. Cass sagte nichts, ihm fiel einfach nichts ein. Er wusste nicht einmal, ob er überhaupt noch etwas zum Thema hören wollte. Doch Mr Bright war nicht zu bremsen.
»Dein Vater war es; dein Vater hat mir das Baby gebracht.«
»Blödsinn.« Cass knirschte das Wort durch seine zusammengebissenen Zähne und spannte unwillkürlich den Finger am Abzug. Sein Vater? Der Mann, der so ungeheuer gläubig geworden war? Der nicht aufgehört hatte, Cass zu ermahnen, sich selbst zu verzeihen? War es wirklich um Cass’ Vergebung gegangen? Ein Kind namens Cassius, eins namens Christian. Sein Vater war vor Mr Bright weggelaufen,das hatte Pater Michael gesagt. War er weggelaufen – oder hatte er sich freigekauft?
»Dein Vater war in seiner Jugend so vielversprechend. Es war einfach perfekt, als er und Evelyn sich verliebt haben. Alles lief nach Plan; wir wollten eine neue Dynastie ins Leben rufen. Doch dann hat er seine Meinung geändert, weil er Gott gefunden hatte.« Mr Bright schüttelte den Kopf, als spräche er von den Dummheiten eines Kindes. »Er wollte seine Freiheit wiederhaben. Wenn er diese Erleuchtung früher gehabt hätte, hätte ich dich genommen, Cass. Du warst der Erstgeborene, die naheliegende Lösung. Doch du warst schon geboren und hattest eine Bindung zu deinen Eltern entwickelt. Davon abgesehen kann ich mir nicht vorstellen, dass er mir eins seiner eigenen Kinder gegeben hätte. Dann wäre er gegen seinen Willen geblieben, und das hätte nie im Leben funktioniert. Deshalb haben wir uns so geeinigt.« Er warf den beiden Männern einen Blick zu. »Bringen Sie ihn ins Auto.«
»Sie sind also Cassius Jones«, sagte der Mann mit dem aschblonden Haar und den feinen Zügen. Seine Stimme war glasklar. »Ich hoffe, wir sehen uns wieder.«
»Bloß nicht.« Cass war es völlig egal, dass der andere Mann ihm leise zulächelte, ehe er ging. Es kümmerte ihn auch nicht, dass so etwas wie Zuneigung in seinem Blick lag. Die Mitglieder des Netzwerks würden lernen müssen, dass Zuneigung nicht zu den Gefühlen gehörte, die sie für Cass entwickeln sollten.
»Wie geeinigt?« Er hatte nicht mehr viel Zeit. Sie waren hinter ihm her und er musste hier weg, bevor sie eintrafen.
»Ich habe ihn vor die Wahl gestellt: Er sollte seine Freiheit bekommen, wenn er mir ein Kind gab – den Erstgeborenen seiner Kinder. Ich hoffte, dass es dein Kind sein würde, Cass, weil du uns immer schon ähnlicher warst alsChristian. Doch er war formbarer. Du hast darauf bestanden, Kate zu heiraten, doch sie hätte das Blut geschwächt. Jessica dagegen hatte das Leuchten. Wir hatten ihre Familie beobachtet und es war nicht schwer, sie mit Christian zusammenzubringen. Das Leuchten zieht das Leuchten an, habe ich festgestellt.« Er sah auf die Uhr. »In der Nacht, in der Luke geboren wurde, brachte dein Vater ihn ins Büro des Krankenhausverwaltungschefs und ich lieferte ihm ein Ersatzbaby. Ich wollte Christian nicht wehtun. Ich bin schließlich kein Ungeheuer.«
Cass starrte ihn nur an. Sein eigener Vater hatte Christian hintergangen. Gab es irgendwen, der seinen armen toten Bruder nicht betrogen hatte – den guten Bruder?
»Wir sehen uns, Cassius Jones.« Mr Bright wandte sich zum Gehen. »Pass gut auf dich auf.«
»Wo ist Luke jetzt?«, rief Cass ihm nach und lief zur anderen Treppe, während Mr Bright hintenherum ging.
»Das gehörte nicht zu unserer Vereinbarung.« Mit einem Grinsen, das an Gemeinheit grenzte, verschwand er im Treppenhaus.
»Helfen Sie mir!«
Als er die verzweifelte Bitte hörte, blieb Cass ruckartig stehen. Er drehte sich um. Jemand kauerte an der Mauer: Abigail Porter. War sie etwa schon die ganze Zeit da gewesen?
»Helfen Sie mir«, sagte sie noch mal, doch ihre Worte waren kaum mehr als ein raues Flüstern. Mr Bright würde warten müssen. Cass lief zu ihr und ging neben ihr in die Hocke.
»Abigail? Sind Sie verletzt?«
»Es tut weh. Ich kann nicht zurück. Ich kann nicht zurück. « Sie ließ den Kopf zwischen den Armen hängen, die sie um die Knie geschlungen hatte. Ihre Schultern bebten.»Ich will nicht mehr sehen. Ich kann nicht. Ich kann nicht.«
»Jones?«
Cass hob blitzartig den Kopf, als er von unten Fletchers Stimme hörte. Scheiße.
»Jones? Wo sind Sie?« Das
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