Die Farben der Freundschaft
reagierte auf ihre abfällige Bezeichnung »Bantus« für die Schwarzen. Aber wie es schien, interessierte sich auch keiner in meiner Klasse dafür, was schwarze Menschen sich wünschten.
Plötzlich fühlte ich mich sehr allein in dieser Schule mit herausgeputzten weißen Teenagern, die so gefangen waren in ihrer Ignoranz. Es musste doch irgendwo einen jungen Menschen geben, der ähnlich dachte wie ich. Aber wo?
Von dem schrecklichen Gesetz, dessen Durchsetzung die Regierung gerade vorantrieb, hatte ich aus den sorgenvollen Diskussionen zwischen Vater und Julian erfahren.
»Was werden sie sich als Nächstes ausdenken?« Vater hatte mit der Faust auf den Tisch geschlagen, als Julian ihm von der drohenden Entwicklung berichtete. »Stell dir vor, Ruby, da kommst du eines Tages in die Schule, und deine Lehrer eröffnen dir, dass in Zukunft der Unterricht auf Japanisch stattfindet und von nun an sämtliche Examensarbeiten auf Japanisch abgefasst werden – und du sprichst kein Wort Japanisch!«
»In Soweto höre ich überall, die Kinder werden sich nicht an dieses Gesetz halten. Nicht mal die Kleinen, die Acht- Neunjährigen. Sie wollen nicht in der Sprache der Unterdrücker lernen, sagen sie.« Julian senkte den Kopf. »Die Regierung, hai ! Afrikaans soll uns jeden Tag daran erinnern, dass wir ihnen gehören. Sogar lesen und denken sollen wir in ihrer Sprache!«
»Das gibt Blutvergießen.« Vater schüttelte den Kopf. »Ich befürchte, da wird Blut fließen.«
»Ich würdekämpfen«, sagte ich, »wenn ich auf einmal in einer Sprache lernen sollte, die ich nicht kann.«
»Das werden sie nicht tun«, sagte Julian. »Sie sind jung und arm. Sie sind die Nachkommen von Eltern, die sich als Dienstmädchen und Minenarbeiter durchschlagen und die vor jedem Weißen katzbuckeln. Sie lassen sich ›Bursche‹ oder ›Mädchen‹ nennen, obwohl sie erwachsene Männer und Frauen sind. Die Kinder in den Townships wachsen mit der Angst ihrer Eltern auf.«
Julian hatte den Kopf geschüttelt und geseufzt.
Während wir nach dem Afrikaans-Unterricht einer nach dem anderen aus dem Klassenzimmer gingen und uns auf den Weg zum Biologieraum machten, kam Clive auf mich zu. Er war in letzter Zeit zu meinem zweiten guten Kumpel geworden, und er, Janice und ich bildeten nun ein erkennbares Trio an der Schule.
»Hey, woher weißt du solche Sachen?« Clive hielt mit einem Arm seine Büchertasche vor der Brust fest und schob mit der anderen Hand die Brille auf seiner stark vorspringenden Nase hoch.
»Habe ich in der Zeitung gelesen«, antwortete ich schnell.
Von hinten kam die Stimme eines der Desmond-Anhänger, die mit ihrem Anführer in der Mitte hinter uns herschlenderten. Jetzt beschleunigten sie ihre Schritte und schlossen rasch auf, bis mir das eilige Klackern ihrer Schuhe auf dem hallenden Gang durch und durch ging.
»Hey, Ruby, wie geht’s deiner Familie? Hab in letzter Zeit viel Schlechtes über sie gehört. Scherereien mit dem Gesetz zum Beispiel. Hä?«, krähte einer der Jungen.
»Ja, genau!«, fiel ein anderer ein. »Diesen ganzen politischen Schwachsinn weißt du nur, weil deine Eltern verdammte Kommunisten sind!«
»Eine Rote! Hey, deshalb haben sie sie Ruby genannt, Ruby, Rubin … Rubinrot! Ruby Red!«, rief Desmond plötzlich triumphierend.
»Yeah! Ruby Red!«, höhnten sie im Chor.
Gedanken schwirrten mir durch den Kopf: Nicht darauf reagieren. Wegrennen. Fahren. Fliegen. Alles. Nur weg. Schnell. Nicht antworten. Kein Wort sagen. Augen zu und weghören. An etwas Beruhigendes denken. An etwas Spannendes. Ich zwang mich, Julian und Johann Duikster in meiner Vorstellung lebendig werden zu lassen, einmal diesen, einmal jenen. Gesichter, die für mich Verständnis und Freude bedeuteten. Das eine wunderbar bekannt, das andere schmerzlich unbekannt. Schneller und schneller ging ich den Gang entlang, neben mir wippten Clives Bücher und seine Locken.
Plötzlich ein dumpfer Schmerz – ich war von hinten mit etwas beworfen worden.
»Lasst sie in Ruhe!« Clive wirbelte herum, eine Pflaume hatte meinen Hinterkopf getroffen.
Ich spürte, wie mir der Saft über die Haare in den Nacken lief, aber ich zuckte nicht mit der Wimper. Die Stelle pochte schmerzhaft, doch dass ich innerlich viel tiefer verletzt war von ihrem hasserfüllten Verhalten, das wollte ich mir nicht anmerken lassen. Meine Augen brannten, und etwas Neues, etwas Unbeschreibliches flammte plötzlich in mir auf.
»Verdammt rot ist sie, diese
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