Die Farben der Freundschaft
dem Hintergrund zu hören, die nach Loretta rief. Rasch hielt Loretta irgendetwas über das Telefon, aber ich konnte den Wortwechsel trotzdem verstehen.
»Loretta, maak jou huiswerk klaar en kom doen jou tuiswerk« , rief jemand in strengem Ton.
»Ja pa, ek kom!« Sie hielt den Hörer wieder an den Mund und sprach hastig hinein. »Zeit für Hausaufgaben, sagt mein Vater.«
»Okay«, antwortete ich, enttäuscht, dass unsere Unterhaltung schon zu Ende war.
» Jy is my nuwe vriend, Ruby. Tschüs.«
» Totsiens. Du auch, Loretta, du bist auch meine neue Freundin.«
Als ich aufgelegt hatte, überlegte ich, ob es auf Afrikaans ein Wort für »Kumpel« gab, aber irgendwie hörte sich das Wort »vriend« für Loretta genau richtig an.
10
JULIAN war gleichzeitig erschrocken und hocherfreut über die Neuigkeit, dass Mutter eine Einzelausstellung für ihn plante. Als Termin hatte sie den ersten Samstag im Juni festgelegt, in drei Wochen also.
Mutter hatte ihm diese aufregende Nachricht beim Abendessen mitgeteilt, und als ich nachts aufwachte, hörte ich, wie er in seinem Zimmer hustete und sich unruhig im Bett wälzte. Auch ich konnte nicht gut schlafen. In den frühen Morgenstunden schlüpfte ich schließlich in meinen blauseidenen Morgenmantel, der an einem Haken hinter meiner Zimmertür hing, und tappte in rosa Häschen-Pantoffeln über den Flur zu Julians Zimmer. Dort klopfte ich leise an die Tür.
Julian schien erleichtert, mich zu sehen, und im dunstigen Licht des frühen Morgens schlichen wir zu seinem Atelier im Garten. Die goldenen Narzissen entlang der Wege senkten ihre honiggelben Köpfe, wenn wir sie im Vorbeigehen streiften. Ein Star mit glänzendem Gefieder zwitscherte eine dünne, zittrige Tonfolge in die klare kalte Luft.
Julian hielt mir die Tür auf und neigte leicht den Kopf. »Nach Ihnen, Madam«, sagte er mit gespieltem Charme. Der tröstliche Geruch von Farbe und Spachtelmasse und die wohlig warme Luft, die die ganze Nacht unbewegt im Raum gestanden hatte, wirkten beruhigend auf mich, offenbar aber nicht auf Julian. Nervös ging er vor den Staffeleien auf und ab, an jedem Pinsel- oder Bleistiftstrich auf seinen Bildern zweifelnd. Auf der Skizze mit den großäugigen Kindern in diesem wackeligen Bett, war da nicht diese Schattierung zu schwach? Vermittelte das Bild von der Wäscherin mit dem Kleiderstapel, den sie gefährlich schief auf dem Kopf balancierte, wirklich das rechte Gespür für das Gewicht ihrer Last? Wirkte die Spucke auf dem Bild von dem Minenarbeiter, der betrunken im Rinnstein lag, nicht eher wie Erbrochenes? Vor sich hin murmelnd wanderte Julian weiter auf und ab, und ich ging neben ihm, um ihm Gesellschaft zu leisten.
»Sie werden meine Bilder abscheulich finden, weil auf keinem etwas Fröhliches ist!« Julian schob die Hände in die Taschen seines Kapuzenshirts.
»Nein, werden sie nicht! Deine Bilder sind wundervoll!«
»Ha! Die Worte deiner Mutter. Genau so redet sie. Aber du, Ruby, was sagst du?« Julian blieb stehen, fasste mich an den Schultern und drehte mich so, dass ich ihm ins Gesicht sehen musste.
Ich nahm eine seiner großen Hände in meine. Das milchige Licht ließ seine Handfläche hell leuchten. Mit dem Zeigefinger fuhr ich über eine der stark gewölbten Linien. »Aha, Mr. Mambasa, ich sehe, dass du mal zwölf Kinder haben wirst.«
Julian lächelte auf mich herab und stemmte die andere Hand in die Hüfte. In den letzten Wochen hatte ich ihn selten lächeln sehen.
»Oh, Entschuldigung«, mit meinem Finger verfolgte ich den Bogen derselben Linie zurück, »es sind zwölf Hühner, keine Kinder. Mein Fehler. Tut mir leid.«
Julian lachte. Ich spürte seine Hand jetzt lockerer in meiner liegen.
»Ah, aber hier, sieh mal …« Ich fuhr mit dem Finger über eine kürzere Linie. »Diese Linie ist an einigen Stellen unterbrochen, erst von einem bestimmten Punkt an verläuft sie gleichmäßig bis zum Ende: Von Mitte 1976 an.«
»Und was bedeutet das, du Zigeunermädchen?« Allmählich fand er Gefallen an dem Spiel.
Ich blickte ihm in die Augen. »Das bedeutet, dass du nach einer beschwerlichen Reise jetzt auf einem bequemeren Weg bist«, sagte ich, ohne den Blick zu senken. Dann, als wollte ich mit dem Finger einen Text in Brailleschrift entziffern, tastete ich nach dem tiefsten Schnitt, den Julian durch die Messer der Tsotsies davongetragen hatte – eine lange Narbe an seinem Zeigefinger. Ich strich leicht über den Spalt und legte meinen Finger darauf. In den
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