Die Farben der Freundschaft
die Sorgenfalten um ihren Mund.
Ich radelte schneller und schneller, in rasendem Tempo drehten sich die Pedale. Und während ich an grünen Bäumen und gepflegten Rasenflächen vorbeiflog, sah ich vor mir die Telefonschnur, wie sie sich enger und enger um mich und Vater, Mutter, Julian und Dashel, um die Galerie und um Thandi schlang. Mein Atem setzte aus, und ich musste nach Luft schnappen, weil ich das Gefühl hatte, ich würde jeden Moment in dieser Umschnürung ersticken. Am liebsten hätte ich aufgehört, in die Pedale zu treten, und gleichzeitig trieb mich etwas weiter und weiter und hielt mich fieberhaft in Bewegung. Fahren, befahl mein Körper. Weit fort von einer Welt, die so hart und gemein war wie diese.
In Rekordzeit war ich am Schultor.
11
ICH konnte mich nur schwer auf Mejevrou de Jagers Afrikaans-Unterricht konzentrieren, in dem sie Ausdrücke und Redewendungen durchnahm, die für den Aufsatz im bevorstehenden Examen wichtig waren. Vor meinen Augen blitzte immer wieder der elegante Dashel mit zerrissenem Hemd und hinter Gittern auf.
» Smoor verlief – weiß jemand, was das bedeutet?«
Mit einer schwungvollen Geste ihres langen spitzen Zeigestocks tippte Mejevrou auf das Wort, das sie gerade an die Tafel geschrieben hatte, als würde die Antwort wie von Zauberhand in einem Rauchwölkchen erscheinen und dann in der Luft neben ihrem malerischen Gekrakel hängen bleiben. Dass man in ihrem Unterricht an Magie und Zauberei denken musste, kam nicht von ungefähr. Sie hatte wirres schwarzes Haar, eine lange spitze Nase, und sie ging immer in Schwarz.
»Nun?« Ihre dunklen, an einen Uhu erinnernden Augen flogen prüfend über die schweigenden Köpfe im Klassenzimmer. Als sie eine einzelne erhobene Hand erblickte, schwenkte sie ihren spitzen Stock dorthin.
»Ja, Monica? Was bedeutet das?«
Ich spürte, wie sich beim Klang ihres Namens mein Körper anspannte. Sie saß ein paar Reihen links vor mir. Ich konnte zwar ihr Gesicht nicht sehen, aber den verträumten Tonfall in ihrer Stimme konnte ich hören. »Also, ›lief‹ heißt Liebe … und ›smoor‹ heißt weich oder sentimental.« Sie kicherte und warf sich mit einer Kopfbewegung ihre langen blonden Haare über die Schultern. »Deswegen könnte ich mir denken, es heißt ›romantisch verliebt‹.« Sie blickte zur Seite und himmelte Desmond an, der mittlerweile den Platz gewechselt hatte und jetzt rechts neben ihr saß. Sie sah ihm fest in die Augen und kicherte wieder. Grinsend warf Desmond ihr einKüsschen zu, und die ganze Klasse feixte.
»Richtig!« Erfreut klopfte Mejevrou de Jager mit ihrem Stock aufs Pult. »Weich verliebt – total verliebt. Einer, der bis über beide Ohren verliebt ist, wird tatsächlich weich wie zerlassene Butter. Nicht wahr?«
Allgemeines Murmeln und zustimmendes Gekicher waren zu hören.
Ich versuchte gerade, mir vorzustellen, wer in Mejevrou de Jager, dieser Bilderbuchhexe, sentimentale Gefühle und Bauchkribbeln wecken könnte, bevor ich aber Gelegenheit für weitere Überlegungen zu ihrem romantischen Privatleben fand, klopfte sie hart auf den Tisch. »Alle mal herhören!« Sie wirbelte herum und richtete ihren Stock auf die Klasse, ohne jedoch auf eine bestimmte Person zu zeigen. »In diesem Land geht gerade eine bedeutende Umgestaltung vor sich. Sie hat mit der Sprache zu tun. Afrikaans. Weiß jemand, um welche Veränderung es sich dabei handelt?«
Großes Schweigen.
»Niemand?« Sie riss ihre Uhuaugen auf und ließ ihren Blick durch den Raum gleiten. Die Klasse rührte sich nicht. Da das Schweigen anhielt, deutete sie mit dem Stock auf die einzige erhobene Hand.
»Ja, Ruby?«
Meine Worte kamen langsam und gepresst, als ginge mir der boshafte Plan kaum über die Lippen. »Es heißt, die Regierung plant ein Gesetz, wonach in Soweto, in jeder Township und an jeder Schule für alle schwarzen Schulkinder der Unterricht auf Afrikaans abgehalten werden soll statt auf Englisch.« Den nächsten Satz murmelte ich nur noch leise vor mich hin: »Obwohl die meisten gar kein Afrikaans sprechen.«
»Sehr gut, Ruby, aber deine gemurmelte Feststellung, dass sie die Sprache nicht beherrschen … nun, das ist ja gerade der Grund, weshalb sie Afrikaans lernen müssen.« Als sie sich meiner Bank näherte, senkte ich die Augen, um ihrem harten Blick zu entgehen.
»Jawohl«, rief sie in die Klasse, »Afrikaans ist genau so wichtig wie Englisch, und es ist höchste Zeit, dass es auch die Sprache der Bantus wird.«
Keiner
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