Die Farben der Freundschaft
schwarzenfreundliche Kommunistin!«, kicherte einer, und alle lachten. Es läutete zur nächsten Stunde.
Im Biologieraum fragte ich Mr. Morrison, den Biologielehrer, ob ich kurz rausgehen dürfe. Ich sah an dem missmutigen Blick in seinem pockennarbigenGesicht, dass er meine Bitte ablehnen würde, deshalb ergänzte ich rasch: »Eine Frauensache, Sir.« Ich wusste, das würde er nicht vertiefen wollen.
Mit einem kurzen Nicken erteilte er mir seine Erlaubnis, und ich ging eilig über die leeren Gänge zur Mädchentoilette.
Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass ich allein war, schloss ich mich in eine der grauen, nach Desinfektionsmittel stinkenden Kabine ein. Die Tränen kamen schnell und stoßweise. Ich versuchte sie zurückzudrängen, aber sie hatten ihren eigenen Willen.
Was mich so aufwühlte, war mehr als das Gefühl der Demütigung durch Desmond und seine Freunde, mehr als die bange Ungewissheit, wie ich es schaffen sollte, mein letztes Schuljahr hier abzuschließen, mehr auch als der Umstand, dass die Überzeugungen meiner Familie so infrage gestellt und verurteilt wurden. Was ich fühlte, war tiefe Einsamkeit. Ich war wirklich ganz allein auf der Barnard-Highschool.
Janice war lieb und nett, und Clive versuchte mich zu verstehen, wenn ich erklärte, dass niemand zu uns nach Hause kommen durfte. Die Wahrheit aber war: Sie kannten mich nicht. Nicht wirklich. Niemand kannte mich.
Das Mädchen, dem ich mich am nächsten fühlte, war Loretta, obwohl wir uns erst einmal getroffen hatten und sie in der Schule eine Klasse unter mir war. Unsere Telefongespräche – halb englisch, halb afrikaans – waren immer offen und verständnisvoll.
Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und betupfte mit einem Papierhandtuch meine klebrigen Haare und den Nacken. Bei dem Gedanken an die Pläne, die wir für den kommenden Samstagnachmittag gemacht hatten, hellte sich meine Stimmung plötzlich auf. Loretta hatte mich zu sich eingeladen, und Vater wollte mich hinfahren. Nach den anfänglichen Bedenken meiner Eltern schienen sie die Freundschaft zwischen Loretta und mir inzwischen mehr als bereitwillig zu unterstützen. Es war eine gemeinschaftliche Sympathiebekundung für meine neue Freundin, eine Afrikaanderin. Schließlich mussten »Schwarzenfreundliche Kommunisten«, wie Desmond meine Eltern genannt hatte, alle Menschen gleich behandeln.
Auf dem Rückweg zum Biologieraum hörte ich von draußen das leise Tuckern eines Rasenmähers. Durch ein offenes Fenster am Ende des Gangs erkannte ich den alten Gärtner mit seinem blumenverzierten Schlapphut, der die Rasenfläche am anderen Ende des Schulgeländes mähte. Er schien vollkommen vertieft in seine Arbeit. Ob er in seiner Dünger- Samen- und Blumenwelt wusste, dass Schulkinder gezwungen werden sollten, in einer Sprache zu lernen, die sie weder sprachen noch verstanden? Lebte er in seiner kärglichen Kammer hinten auf dem Schulgelände unauffällig vor sich hin und ging nie in die Stadt? Oder fuhr er jeden Donnerstag, dem inoffiziellen freien Tag der meisten Bediensteten und schwarzen Arbeiter, nach Soweto zu seinen Kindern und Enkeln, die ihrem alten Opa vielleicht weinend erzählten, dass es für sie in der Schule bald noch schlimmer werden sollte?
»Miss Winters, warum laufen Sie um diese Zeit durch die Gänge? Warum sind Sie nicht im Klassenzimmer?«, ertönte eine strenge Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und stand unserem Schuldirektor gegenüber.
»M… Mr. Dandridge«, stotterte ich, »ich … ich musste zur Toilette …«
»Nun, dann beeilen Sie sich, kein Getrödel! Sie sind Vertrauensschülerin, und eine Vertrauensschülerin muss ein gutes Beispiel geben.« Er hob eine pummelige Hand und wackelte mit dem Finger, wie um einen kleinen Hund zurechtzuweisen. Dann ging er watschelnd davon in seinem schlecht sitzenden dunkelblauen Anzug. Ich holte tief Luft, bevor ich die Tür zum Biologieraum öffnete, und rückte meine Schulkrawatte gerade. Sie hatte sich verschoben wie alles andere in meinem Leben.
Ohne weiteren Zwischenfall kam ich durch den Rest des Tages, konnte mich aber im Nachmittagsunterricht kaum mehr konzentrieren. Ständig ging mir Dashels Verhaftung durch den Kopf. Wer hatte ihn festgenommen? Und wo? Dashel schämte sich seiner Homosexualität nicht, aber ich wusste auch, dass er sehr diskret und vorsichtig war. Nie hängte er seine Romanzen an die große Glocke, und die wenigen Männer, die ich bei Ausstellungseröffnungen in seiner
Weitere Kostenlose Bücher