Die Farben der Freundschaft
zum größten Teil Boetie. Er ist ein begeisterter Sportler. Fußball, Rugby, Schwimmen. Alles! Du wirst ihn gleich kennenlernen. My pa ist noch im Club.«
Ich ging mit Loretta durch einen breiten gefliesten Gang, an dessen Wänden zu beiden Seiten Bilder hingen. Als Tochter einer Galeriebesitzerin sah ich mir Kunstgegenstände bei anderen Leuten zu Hause immer kritisch an. Die traditionellen Ölgemälde mit Szenen aus der Geschichte seiner kapholländischen Vorfahren, die Lorettas Vater bevorzugte, standen in krassem Gegensatz zu seinem ultramodernen Haus. Im Vorübergehen betrachtete ich die Bilder: Voortrekker – die ersten Buren in Südafrika – wie sie am Lagerfeuer saßen, im Hintergrund ihre Ochsenwagen mit weißen Planen. Ein anderes zeigte ein eng an den majestätischen Tafelberg geschmiegtes kapholländisches Haus und wieder ein anderes einen rotgesichtigen Farmer mit der Bibel in der einen Hand und dem Gewehr in der anderen.
» My oupa hat Pa all die Bilder geschenkt, bevor er starb.« Loretta verzog das Gesicht. »Boetie und ich, wir mögen sie nicht besonders, aber Pa sagt, aus Respekt gegen seinen Vater …« Sie verstummte und blieb vor einem der Zimmer stehen. »Hier’s my kamer. Kom binne.« Loretta lächelte.
Sie führte mich in ihr Zimmer. Es spiegelte das, was Loretta ausmachte: Wärme und Gastfreundlichkeit. Ich war erleichtert, dass wenigstens in einem Zimmer dieses Hauses helle weibliche Farben vorherrschten. Auf dem Bett lag ein Quilt in Violett und Gelb, gemustert mit großen, im Kreis angeordneten Gänseblümchen mit schwarzen Punkten in der Mitte. Die Wände waren in hellen Blau- und Grüntönen gestrichen, die in- und übereinanderwirbelten wie schäumende Meereswellen. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich in ein psychedelisches Bilderbuch geraten.
»Wahnsinn!«, sagte ich.
»Pa ist sehr streng mit alles , aber dass ich dieses Zimmer so gestalten durfte, wie ich es wollte, war sehr lieb von ihm.«
Sie setzte sich auf die Bettkante, und ich ließ mich auf einem plüschigen roten Sitzsack vor dem Nachtkästchen nieder. Darauf stand nur ein einziger Gegenstand. Ein Foto in einem Silberrahmen. Es zeigte eine auffallend blonde Frau, die sich an den Stamm eines großen Baumes lehnte. Ihr blaues Kleid lag eng um ihre schmale Taille, und das Haar fiel ihr weich auf die Wangen. Auf der Hüfte hielt sie ein Kleinkind, ein blondes Mädchen, das sein Gesicht in die Halswölbung der Frau schmiegte.
»My ma«, sagte Loretta leise .
»Es tut mir leid.«
»Musst du nicht sagen. Es ist lange her.«
»Du warst noch so klein, als sie gestorben ist.« Ich schüttelte den Kopf.
»Und deine Mutter? Wie ist sie?« Loretta knetete die Kissen, als müssten ihre Hände unbedingt etwas tun.
Sie hatte mich überrumpelt. Noch nie hatte mir jemand diese Frage gestellt, und ich hatte auch nie darüber nachgedacht, wie ich Mutter beschreiben sollte.
»Also … sie ist ganz vieles.« Ich stellte mir Mutter in der Galerie vor, wie sie ernsthaft und unter lebhaftem Auf und Ab ihrer kleinen Hände mit einem Künstler sprach. »Sie interessiert sich sehr für Kunst und Künstler. Sie hilft gern anderen Menschen. Sie ist sehr hübsch …«
»Das hört sich alles ziemlich außergewöhnlich an.«
Ich korrigierte Loretta nicht. In vielerlei Hinsicht war Mutter genau das. Ziemlich außergewöhnlich.
»Manchmal gibt es auch Streit zwischen uns«, fügte ich hinzu, aber in Wirklichkeit kam das nicht oft vor. Ich wusste, wie glücklich ich mich schätzen konnte, dass ich ein gutes Verhältnis zu meiner Mutter hatte, und wie viele Mädchen in der Schule ihre Mütter nicht mochten und sich mit ihnen nicht verstanden.
»Ich wünschte, my pa hätte wieder geheiratet«, sagte Loretta wehmütig. »Aber er sagt, niemand kann … wie heißt das auf Engels ? Mutters Stelle einsetzen?«
»Ihre Stelle ersetzen«, sagte ich.
»Ja, ihre Stelle ersetzen.« Loretta und ich schwiegen eine Weile, und unsere Blicke hingen an dem Foto mit dem kleinen Mädchen auf dem Arm seiner Mutter.
Schließlich wandte sich Loretta ab und sah mich an. »Ich freue mich so, dass du da bist!«
»Ich auch.« Ich erwiderte ihr Lächeln, und in diesem Augenblick verblasste all das Schreckliche der vergangenen Woche.
Loretta sprang von ihrem Bett auf. » Kom , wir schauen mal, ob Boetie Hilfe beim Grillen braucht.«
Ich folgte Loretta durch mehrere Gänge, bis wir vor dem Hinterausgang standen. Sie öffnete die Tür, und die kühle Abendluft ließ
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