Die Farben der Freundschaft
sie.«
Ich merkte, wie meine Wangen heiß wurden, als er von Johann als von meinem Freund sprach.
Mutter kam ans Bett und nahm meine Hände in ihre. »Johann ist mindestens zwei Stunden an deinem Bett gesessen. So ein liebenswürdiger Junge! Zum Abendessen musste er aber nach Hause. Er hat sich solche Sorgen um dich gemacht …«
Eine Welle der Enttäuschung überrollte mich. Ich wollte Johann so gern sehen, ihn berühren, ihm nahe sein, und jetzt war er fort.
»Du musst so weit wieder zu Kräften kommen, dass du morgen Abend dabei sein kannst«, sagte Mutter entschieden, als könnte sie mit ihren Worten meine Gesundheit erzwingen.
»Die Lunge ist frei. Ich spritze ihr ein Antibiotikum und außerdem Cortison, damit die Schwellung im Hals zurückgeht. Das wirkt wie ein Zaubermittel.« Dr. Jacobs griff in seine schwarze Arzttasche und nahm zwei Spritzen heraus. Bei ihrem Anblick verzog ich das Gesicht. »Ich weiß, Ruby, Spaß macht das keinen, aber dafür wird es schnell besser und du kannst zur Ausstellung gehen. Oder zumindest hinwanken.«
Als ich spürte, wie die Nadel in mein Fleisch drang, schossen mir Tränen in die Augen. Aber der Schmerz kam von etwas, das stärker war als der Stich der Nadelspitze.
22
NACHTS um halb zwölf war die Galerie bereits voller Menschen, und das Stimmengewirr vermischte sich mit dem Klirren der Gläser. Julian saß mit Vater in dessen geheiztem Citroën auf dem Parkplatz und hatte Anweisung, auf keinen Fall vor Mitternacht zu erscheinen. Bei der Vorstellung eines neuen Künstlers sorgte Mutter gern für ein wenig Nervenkitzel und einen theatralischen Moment. Zu diesem Zweck hatte sie Julians Bilder mit rot-schwarzen Tüchern verhängt. Zur magischen Mitternachtsstunde sollte der Maler den Raum betreten und zugleich sein Werk enthüllt werden. Vater sagte immer, es sei Mutters besonders origineller Stil der Vermarktung, der ihre Galerie so erfolgreich mache. Nach der großen Anzahl der Besucher zu schließen, war es ihr offensichtlich wieder einmal gelungen, einflussreiche Kunstliebhaber, Käufer und Kritiker in ihrer Galerie zu versammeln. Auch einige schwarze Gäste waren gekommen. Mein Blick blieb unwillkürlich an einer vornehmen Afrikanerin hängen, die, mit traditionellem Kopfschmuck und einem farbenprächtigen Gewand bekleidet, neben ihrem Ehemann stand, der einen schlecht sitzenden schwarzen Anzug trug. Ich kannte ihn als Mitglied des im Untergrund agierenden African National Congress. Vor etwa einem Jahr hatte Vater mitgeholfen, ihn aus dem Gefängnis herauszuholen, und schon damals, als er nach seiner Freilassung mit seiner Frau bei uns zum Abendessen eingeladen war, hatte ich ihre wunderschönen perlenbesetzten Armbänder bewundert. Neben den beiden erkannte ich noch einige andere Schwarze. Auch sie waren Mitglieder des ANC. Ich hatte sie zu den geheimen Treffen kommen sehen, die bis vor ein paar Jahren regelmäßig bei uns im Haus stattgefunden hatten – bis es zu gefährlich wurde und meine Eltern sich entschlossen, unsere hohen Eisentore für die meisten Menschen zu verschließen. Nervös sah ich mich nach einem grauäugigen Mann mit dunklem Kurzhaarschnitt um, dem Geheimpolizisten, der mir die Warnung an meine Mutter nahegelegt hatte. Ich seufzte erleichtert auf, als ich seine große unfreundliche Gestalt nirgends durch die Galerie schleichen sah.
Tatsächlich hatte Dr. Jacobs’ magische Injektion meinen Zustand gebessert. Mein Hals war nicht mehr so stark geschwollen und schmerzte kaum mehr. Diese radikale Besserung gab mir auch meine Stimme zurück, dabei war ich mir nicht ganz sicher, ob ich das überhaupt wollte. Ich hatte Mutters Rat befolgt und war an diesem Tag nicht zur Schule gegangen. Was mir nicht weiter schwergefallen war, da die Barnard-Highschool der letzte Ort war, wo es mich hinzog. Ich hatte den Vormittag stattdessen mit Julian verbracht und ihm geholfen, die Sachen auszuwählen, die er auf der Ausstellung tragen würde, eine schwarze Hose und ein rötlich braunes Anzughemd mit offenem Kragen. Seine Begegnung mit Johann tags zuvor erwähnte er nicht, und ich war froh, dass wir uns in Ruhe auf den lang erwarteten Abend konzentrieren konnten, der vor uns lag. Er hatte von meinem Ohnmachtsanfall nichts mitbekommen und erfuhr erst davon, als Mutter ihn bat aufzupassen, dass ich nicht wieder umkippte. Sie musste zu letzten Vorbereitungen in die Galerie.
Danach hatte Julian sich alle paar Minuten erkundigt, ob es mir gut ginge oder ob ich
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