Die Farben der Freundschaft
vielleicht ein Glas Wasser bräuchte. Ich war gerührt, dass er sich so um mich sorgte.
Vater hatte sich darum gekümmert, dass ich zu Abend gegessen und meine sämtlichen Arzneien eingenommen hatte, ehe er mich um zehn Uhr vor der Galerie absetzte. Ich trug einen schwarzen Rollkragenpulli und enge schwarze Hosen, damit ich zu Dashel und Thandi passte. Das war bei Galerieveranstaltungen unsere »Dienstkleidung«. Mutter trug gewöhnlich etwas Farbiges in Seide.
Während Thandi und ich nebeneinander in der Küche der Galerie standen und Wein- und Champagnergläser auf den »Tarn-Tabletts« verteilten, kam Dashel hereingeschneit, um nach dem Rechten zu sehen.
»Mädchen, Mädchen, wir haben ein volles Haus heute Abend!« Er nahm Thandi ein Glas Champgner aus der Hand und leerte es mit einer schwungvollen Geste. »Ich bin am Verdursten! Habe dem Kunstkritiker von der London Times ein Loch in den Bauch geredet. Habt ihr das gehört, Mädchen? Die London Times ! Deine Mutter ist ein Genie …« Er drückte mir einen Kuss auf den Scheitel und rauschte wieder davon.
» Yirra , wer hätte das gedacht!« Thandi wischte sich Schweißperlen von der Oberlippe. »Es wird ein morse großartiger Abend werden!« Fröhlich schwang sie die Hüften und stellte dann das bestückte Tablett zu den anderen.
»Ja«, krächzte ich. »Bestimmt.«
Nachdem wir mit den Tabletts fertig waren, verließ ich die Küche und bahnte mir einen Weg durch die Menge, dorthin, wo der Raum am hellsten strahlte. Mutter trug einen lavendelfarbenen Seidenrock mit einer gelben Rüschenbluse und kanariengelben, halb offenen Schuhen. Dazu hatte sie sich einen hübschen lavendel- und goldfarbenen Seidenschal ins Haar gebunden, und ihre Goldohrringe schwankten wie Mini-Kronleuchter, während sie begeistert mit einigen Leuten sprach, die sich um sie geschart hatten.
»Nein, ich verstecke ihn nicht, um die Spannung zu erhöhen«, sagte sie lachend. »Ich habe ihn nur sicher untergebracht. Aber ihr sollt ihn nun alle kennenlernen.« Sie hob ihren Sektkelch und stieß mit den erwartungsvollen Gästen an. »Auf Julian und auf die Enthüllung seiner Bilder!«, rief sie. Murmelnd stimmten die Umstehenden zu.
»Ruby, Liebling!«, sagte sie, als sie mich sah. »Geht es dir gut? Sei ein Schatz und sag Thandi Bescheid, sie soll zum Wagen gehen und Julian durch die Küche hereinführen. Dort soll er warten, bis ich das Okay gebe. Und David soll gleich hereinkommen; ich will ein paar Worte sagen.«
Mitternacht ist die feierliche Stunde des Tages. Es ist die Stunde, in der magische Dinge geschehen, die Stunde, die von einer geheimnisvollen Aura umgeben ist. Aber es ist auch eine unversöhnliche und gnadenlose Stunde. Es ist der Moment, in dem sich der eine Tag davonstiehlt und ein anderer aufscheint, der Augenblick, in dem die Fehler, die man in den vergangenen vierundzwanzig Stunden gemacht hat, nicht mehr verbessert oder gelöscht werden können und die Freude und das Vergnügen, die wir hatten, nicht noch einmal erlebt werden können. Diese Zeit ist nun »gestern«, sie wird zu einem Teil unserer Geschichte, zu einem Ort, an den wir nicht zurückkönnen und an dem wir nichts mehr ändern können, außer in Gedanken. Mitternacht verkündet das Vergehen des Alten und den Beginn des Neuen. Für mich und alle in der Galerie Anwesenden wurde es eine Mitternachtsstunde, die wir nie vergessen sollten.
Wenige Minuten vor der vereinbarten Zeit bagann Mutter mit ihrer Rede. Damit alle sie sehen konnten, hatte sie sich auf einen Stuhl gestellt. Dashel hielt die wacklige Armlehne auf der einen Seite, und Vater, der inzwischen Julian durch den hinteren Eingang in die Küche gebracht hatte, hatte sich auf der anderen postiert.
Julians Bilder blieben noch unter den rot-schwarzen Tüchern verborgen, bis Mutter das Stichwort ausgesprochen und Julian vorgestellt haben würde, erst dann sollten sie von der »Belegschaft der Galerie« enthüllt werden.
Die Besucher kamen nun aus der Hauptgalerie in die kleineren Räume zurück, und alle reckten die Hälse, um Mutter über die vielen Köpfe hinweg sehen zu können. Leises Gläserklirren war zu hören, Füßescharren, jemand hustete, aber im Großen und Ganzen legte sich Stille über den Raum, als Mutter zu sprechen anfing.
»Guten Morgen, liebe Gäste!« Allgemeines Gekicher. »Ich denke, das kann ich ruhig sagen, denn jetzt ist der Beginn eines neuen Tages … auf meiner Uhr ist es eine Minute nach zwölf!« Mutter
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