Die Farben der Sehnsucht
war so dum m gewesen, dass er hatte sterben müssen. So unfassbar dumm. In den ersten Wochen hatte ihre Wut über die Ungerechtigkeit sie beinahe aufgefressen. Zuerst einmal hätte Derek gar nicht auf dieses Dach klettern müssen. Ein simpler Telefonanruf hätte genügt, und ein professioneller Dachdecker wäre vorbeigekommen, um sich um die undichte Stelle zu kümmern. Es war nicht Dereks Auf gabe gewesen, es überhaupt zu probieren. Dennoch hatte er darauf bestanden, es selbst zu tun, weil er der Meinung gewesen war, dass jede Verzögerung den Schaden nur noch verschlimmert hätte. Und außerdem hatte er geglaubt, dass es ein „Kinderspiel“ wäre, das undichte Dach zu reparieren. Bevor sie ihn von seinem waghalsigen Plan abbringen konnte, hatte er bereits die Leiter gegen die Regenrinne gelehnt und sich seinen Werkzeuggürtel umgeschnallt. Es war die erste Möglichkeit gewesen, seine neuen Werkzeuge, die er zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, auszuprobieren. Sie fragte sich noch immer, ob das der eigentliche Grund war oder nur einer von vielen. Zwecklos. Töricht.
Wenn es etwas gab, für das Colette dankbar war, so war es die Tatsache, dass sie seinen Sturz nicht gesehen hatte. Ein Freund aus der Nachbarschaft war bei Derek gewesen und hatte sich mit ihm unterhalten, als er plötzlich den Halt verlor und vom Dach auf die Einfahrt stürzte. Der Nachbar hatte den Notruf bereits betätigt, bevor Colette überhaupt bemerken konnte, dass etwas nicht stimmte. Derek war mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht worden, doch das Bewusstsein hatte er nicht mehr erlangt.
Zunächst stand Colette unter Schock. Dann, als die Nebel sich lichteten und ihre Taubheit langsam schwand, wurde sie zornig. Es war ein tiefer, alles verschlingender Zorn. Dann verwandelte er sich in Trauer und ein überwältigendes Gefühl des Verlustes.
Aber all das war keine Entschuldigung für das, was sie vor einigen Monaten getan hatte.
Ihre Wangen röteten sich vor Scham, als sie sich an den runden Eichentisch in ihrer Küche setzte. Sie stützte den Kopf in die Hände und erinnerte sich an die Nacht der Weihnachtsfeier ihrer Firma …
Zu der Zeit hatte Colette bereits fünf Jahre als die persönliche Assistentin von Christian Dempsey gearbeitet.
Und auch zu dem Job war sie vollkommen unerwartet gekommen.
Nachdem sie einige Zeit bei Dempsey Import s in der Zollabfertigung tätig gewesen war, hatte man sie in ein anderes Stockwerk, in die Nähe der Chefetage der Firma, versetzt.
Gerade frisch verheiratet, freute sie sich über ihren Aufstieg zur Brokerin und die Gehaltserhöhung, die damit einherging. Sie und Derek wünschten sich ein eigenes Haus, und bei den Ausgaben für die Flitterwochen und die Hochzeit, die sie selbst getragen hatten, war die Gehaltserhöhung ein wahrer Segen.
Obwohl sie schon seit zwei Jahren für die Firma arbeitete, hatte Colette Mr. Dempsey erst einmal im Vorbeigehen gesehen. Er war ein Mann, der Autorität und Macht ausstrahlte. Regelmäßig war er auf Geschäftsreisen im Ausland, und wann immer er im Büro auftauchte, wirkte er seltsam abwesend und mit seinen Gedanken ganz woanders. Das hatte wahrscheinlich zu dem geheimnisvollen Nimbus geführt, der ihn umgab. Und auch die Tatsache, dass er über eins neunzig groß war, durchtrainiert und außergewöhnlich gut aussehend, trug zu seiner besonderen Aura bei. Wenn er einen Raum betrat, drehte man den Kopf nach ihm. Er schien seiner Umgebung diesen Respekt und diese Aufmerksamkeit abzunötigen.
An Colettes erstem Arbeitstag in der neuen Abteilung – sie war gerade erst angekommen – war Mr. Dempsey in der Firma aufgetaucht, und Colette, die im Flur zwischen seinem Büro und ihrer Abteilung stand, hatte ihn gegrüßt.
„Guten Morgen, Mr. Dempsey.“
Diese vier Worte hatten den Verlauf ihrer Karriere für immer verändert – und auch den weiteren Verlauf ihres Lebens.
Er ging an ihr vorbei und nahm ihren Gruß nur am Rande wahr.
Erst in dem Moment bemerkte sie, dass alle sie anstarrten.
Sie wartete, bis Christian Dempsey in seinem Büro verschwunden war, und blickte sich um. Die Leute starrten einfach nur. Jenny, ihre Vorgesetzte, hatte ihren Kaffeebecher angehoben, um daraus zu trinken, und dann mitten in der Bewegung innegehalten. Ungläubig blickte sie Colette an. Und Mark Taylor stand vor einem Aktenschrank und schüttelte nur wortlos den Kopf.
„Warum sehen mich alle so an?“, fragte Colette.
Jenny setzte ihren Kaffeebecher auf ihrem
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