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Die Farben der Wirklichkeit

Die Farben der Wirklichkeit

Titel: Die Farben der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Körner
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blieb.
    Auf dem Heimweg dachte jeder für sich darüber nach. Die Hexe „Angst“ schlich sich nun, wo beide allein waren, ganz massiv in ihre Herzen ein. Von diesem Tag an hatten sie Angst vor der Antwort auf die nicht gestellte Frage. Wenn sie sich trafen, sprachen sie nie darüber. Aber niemals mehr brachte einer der beiden eine kleine Aufmerksamkeit mit. Jeder fürchtete, sich mit seinem Geschenk lächerlich zu machen oder abgewiesen zu werden. Ihre Beziehung zueinander veränderte sich unmerklich. Und doch spürte es jeder für sich.
    Die Prinzessin störte auf einmal der kühle Wind am Abend. Obwohl sie früher stundenlang im Regen beieinander gesessen hatten, entschuldigte sie sich jetzt immer öfter und ging. Der Prinz entwickelte auf einmal Interesse an Staatsgeschäften, die ihm früher nebensächlich gewesen waren. Mehr als einmal ließ er durch seinen Diener ausrichten, daß es ihm zwar leid tue, er aber bedauerlicherweise verhindert sei, wenn er mit der Prinzessin verabredet war.
    Sie trafen sich zwar noch immer, doch nichts stimmte mehr. Sie taten so, als sei alles wie früher, aber die Beziehung zueinander war halbherzig geworden. Keiner wollte das Gespräch in Gang bringen, dessen möglicher Verlauf ihnen beiden Angst machte. Sie fürchteten, in dieser Aussprache verletzt zu werden, hatten Angst, den anderen zu verlieren oder sich zu blamieren. Schon bald hatte sich das Vertrauen aus ihrer Beziehung fortgeschlichen.
    Jetzt schöpften sie keine Kraft mehr aus dieser Verbindung, kamen nicht mehr froh und gestärkt von ihren Treffen nach Hause. Sie begannen sogar, eher ein wenig unter ihrer „Liebe“ zu leiden. Aber die Hexen „Gewohnheit“ und „Bequemlichkeit“ sorgten nun dafür, daß keiner der beiden sich um einen neuen Anfang bemühte oder nach neuen Wegen Ausschau hielt. Und zu allem Übel hatte die Hexe „Angst“ auch noch den Mut der beiden gefesselt.
    Jahre vergingen. Die Treffen der Prinzessin mit ihrem Prinzen schienen die anfängliche Faszination verloren zu haben und wurden seltener. Jeder für sich hatte sich mehr und mehr damit abgefunden, in seinem ungeliebten Schloß mit einem ungeliebten Partner und seiner verhaßten Verwandtschaft zu leben. Immerhin gab es dort Sicherheit und Gewißheit, und wenn es nur die Gewißheit war, nicht geliebt zu werden. Das war weniger beängstigend als die Ungewißheit des Geliebtwerdens.
    Ihre Angst schloß immer mehr aus, daß einer von beiden den Mut haben könnte, sich vor dem anderen zu öffnen, den Irrtum zu klären, ein ehrliches Gespräch zu beginnen. Sie suchten nicht mehr nach Möglichkeiten, den andern wirklich zu erreichen, hatten den Blick für neue Wege zueinander verloren. Trotzdem: Im Grunde, jeder still für sich, liebten sie einander immer noch.
    In einsamen Nächten nahmen sie sich, qualvoll erfüllt von der Sehnsucht nach dem anderen, ganz fest vor, beim nächsten Treffen offen über ihre Gefühle, ihre Wünsche und Unsicherheiten zu sprechen. Ohne es voneinander zu wissen, hofften beide, daß alles wieder so werden würde wie damals...
    Bis heute haben sie es nicht gewagt.
    Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie auch heute noch nicht das, was sie füreinander fühlen.
     



Roland Kübler
    Die bezauberte Frau
     
    I n einem Land, das auch heute noch den meisten Menschen bekannt ist, lebte eine junge, hübsche Frau. Viele Männer blickten ihr hinterher, denn da war etwas an ihrem Gang und an ihrer Art, mit den Augen Geschichten anzudeuten, das den Männern geheimnisvoll und lockend schien. Die Frau wußte um diese Wirkung, nahm die Komplimente und Blicke der Männer lächelnd hin, verwehrte jedoch allen den Zugang zu ihrem wahren Inneren.
    Sie wollte den einen finden, der ihr alles geben konnte. Sie war auf der Suche nach ihrem Märchenprinzen.
    Lange Zeit war sie deshalb allein, saß oft abends in ihrem Zimmer und war traurig. Ihr Entschluß aber war unumstößlich: Mit diesen Männern, die ihr auf der Straße Andeutungen nachpfiffen, sie mit Worten umschmeichelten und ihr vieles versprachen, wollte sie nichts zu tun haben.
    Eines Abends jedoch — die Frau war auf dem Weg nach Hause und grübelte wieder einmal darüber nach, daß sie den Richtigen noch immer nicht gefunden hatte - sprach sie ein Fremder an: ,,Dein Gang ist so müde, und deine  Wimpern wischen über Traurigkeit. Ich will dir etwas zeigen. Paß genau auf!“
    Er stellte sich unter eine kleine Straßenlaterne und murmelte seltsame Worte. Die junge

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