Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farben der Zeit

Die Farben der Zeit

Titel: Die Farben der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
Vom Netzwerk:
Zerstreuung bei Trübsinn, Labsal für den rastlosen Geist‹. [33] Allein, es sollte nicht sein. Statt dessen zwang man mich zur ›piscatur in aqua turbida‹.«
    O Gott, dachte ich. Noch einer, der durcheinander redet und Zitate ausspuckt. Und auch noch in Latein.
    »Einer meiner Studenten, Tuttle der Kleine, hatte mir gesagt, daß er hier bei seinem Training für den Achter einen weißen Gründling gesehen hätte. Netter Junge! Kann zwar kaum rezitieren und schreibt völlig unleserlich, aber mit Fischen kennt er sich aus.«
    »Ich wußte, daß ich sie eingepackt hatte«, sagte Terence und zog eine grüne Wolldecke aus der Kiste. »Hier«, er gab sie dem Professor, »ziehen Sie das Zeug aus und legen Sie sich die Decke um.«
    Professor Peddick knöpfte seine Robe auf. »Sein Bruder, Tuttle der Große, war genauso. Fürchterliche Handschrift.« Er zog seinen Arm aus einem Ärmel und hielt inne. Auf seinem Gesicht erschien ein seltsamer Ausdruck, und er steckte den Arm in den anderen Ärmel.
    »Alle Essays voller Tintenflecken.« Seine Hand wühlte wie wild in dem Ärmel. »Übersetzte ›Non omnia possumus omnus‹ mit ›Im Omnibus keine Oppossums erlaubt‹.« Seine Hand vollführte eine letzte heftige Kreisbewegung, dann zog er den Arm heraus. »Ich dachte, er würde nie ein Examen schaffen«, fuhr er fort und öffnete die Hand, in der ein winziger weißer Fisch lag.
    »Ah, Ugubio fluviatilis albinus.« Er betrachtete das Zappeln des Fisches. »Wo ist mein Hut?«
    Terence gab ihm das Barett, und Professor Peddick tauchte es ins Wasser, füllte es und ließ dann den Fisch hineinfallen. »Prächtiges Exemplar«, meinte er und beugte sich über den Hut. »Ist jetzt Assistent vom Direktor des Schatzamtes. Berater der Königin.«
    Ich saß da, beobachtete, wie er den Fisch examinierte und bewunderte, was wir da gefangen hatten. Einen echten exzentrischen Oxforder Dekan. Sie waren auch eine ausgestorbene Spezies, wenn man Dunworthy nicht zählte, der zu vernünftig war, um exzentrisch zu sein. Ich hatte mich immer ein bißchen betrogen gefühlt, weil ich nicht bei den glorreichen Tagen Jowetts und R. W. Ropers hatte dabei sein können. Spooner war natürlich der berühmteste, wegen seines Talents, das Englisch der Königin zu verballhornen. »Sie haben einen Wurm verweudet«, hatte er einem aufsässigen Studenten gesagt und den morgendlichen Choral eines Sonntags mit »Die Schimmel türmen den Herrn« angekündigt.
    Mein Lieblingsprofessor war Claude Jenkins, dessen Haus so unordentlich gewesen war, daß man manchmal die Eingangstür nicht öffnen konnte, und der einmal zu spät zu einem Treffen erschien und sich mit den Worten entschuldigte: »Meine Haushälterin ist gerade gestorben, aber ich habe sie auf einem Küchenstuhl gesetzt, und bis ich zurückkomme, wird sie wieder auf der Reihe sein.«
    Aber alle waren sie Persönlichkeiten gewesen: Logikprofessor Cook Wilson, der nach zwei Stunden ermüdenden Vortrags sagte: »Nach diesen einleitenden Bemerkungen…« oder Mathematikprofessor Charles Dodgson, der, nachdem Königin Victoria ihm einen begeisterten Brief über Alice im Wunderland geschrieben und ihn um ein Exemplar seines nächsten Buches gebeten hatte, ihr seine mathematische Abhandlung Condensations of Determinants schickte, oder der Professor für Altertum, der meinte, ein Barometer sähe besser aus, wenn man es horizontal statt vertikal anbrächte.
    Und natürlich Buckland mit seiner Hausmenagerie und seinem zahmen Adler, der während der Morgenandacht in der Kathedrale von Christ Church mit halb gespreizten Flügeln den Mittelgang hinunterstolzierte. Kirchgang mußte damals eine aufregende Veranstaltung gewesen sein. Vielleicht hätte Bischof Bittner es auch einmal mit Tiervorführungen probieren sollen, als immer weniger Menschen zum Gottesdienst in seine Kathedrale kamen. Oder mit Spoonerismen.
    Ich hatte jedoch nie erwartet, einen dieser Menschen einmal wirklich zu treffen, und hier war er nun, ein prächtiges Exemplar, der einen in einem Barett schwimmenden Fisch studierte und über Geschichte räsonierte.
    »Overforce vertritt die Theorie, ein Studium der Geschichte, das sich mit Chroniken von Königen, Kriegen, Schlachten und Ereignissen beschäftige, sei veraltet«, sagte er. »Darwin habe die Biologie revolutioniert, meint er…«
    Darwin? Der gleiche Darwin, dem Professor Overforce beigebracht hatte, auf Bäume zu klettern?
    »…und die Geschichtswissenschaft müsse ebenso revolutioniert

Weitere Kostenlose Bücher