Die Farm am Eukalyptushain
der Tür drehte sie sich noch einmal um und betrachtete ihre schlafende Mutter. Jetzt lag es an Jeanette, sich mit ihrer eigenen Mutter zu versöhnen.
Harriet kehrte in die Gegenwart zurück und erkannte, dass alle auf eine Antwort warteten. »Es war das Schwierigste, was ich je erlebt habe«, gestand sie. »Mum wäre vor Wut beinahe explodiert, als ich ihr sagte, was Rosa herausgefunden hatte. Sie konnte mir kaum in die Augen sehen, konnte kaum sprechen. Noch nie habe ich sie so erlebt, und es hat mir Angst gemacht.«
»Du hast ihr alles erzählt?«, fragte Catriona.
»Über vieles bin ich hinweggegangen. Es hatte keinen Sinn, ihr in allen grausigen Details zu erzählen, wie Kane dich missbraucht hat. Ich habe ihr gesagt, du seist vergewaltigt und dann gezwungen worden, sie zur Adoption freizugeben. Und ich habe ihr gesagt, dass du sie seitdem unermüdlich gesucht hast. Aber am Ende hat es ihre Einstellung zu dir nicht verändert. Sie ist zu verbittert, um vernünftigen Argumenten zugänglich zu sein oder um über ihren eigenen Schmerz hinauszuschauen.«
Sie schaute hinüber zu dem Porträt ihrer Urgroßmutter. Velda lächelte auf sie herab. Die veilchenblauen Augen blickten warmherzig und ermutigend aus dem makellosen Gesicht, und in ihrem Gesichtsausdruck erkannte Harriet etwas von ihrer Mutter wieder. »Mum ist eine starke, entschlossene Frau, die ihr ganzes Leben selbst bestimmt hat. Deshalb hat ihre Reaktion mich so sehr erschreckt. Sie ging einfach in Stücke. Brach völlig zusammen und flehte mich an, sie nicht zu verlassen und nicht aufzuhören, sie zu lieben. Ich erkannte, dass sie schreckliche Angst davor hat, allein gelassen und nicht geliebt zu werden, und sie fürchtet, man könnte sie dafür verurteilen, dass sie ihre Verbindung zu dir nicht akzeptieren kann. Ich habe sehr lange gebraucht, um ihr zu versichern, dass ich sie trotz meiner Zuneigung zu dir und meiner Freude darüber, dass ich endlich weiß, wer ich bin, immer lieben werde, ganz gleich, was passiert sein mag.«
»Die arme Jeanette!« Catriona rollten Tränen über die Wangen. »Wenn ich nur hätte da sein können, um sie zu trösten!« Sie zog ein Taschentuch hervor und wischte sich die Tränen ab.
Harriet nahm sie in den Arm. »Sie wird eine Weile brauchen, um zu verdauen, was ich ihr erzählt habe. Sie hat ihr Leben lang geleugnet, was ihr widerfahren ist, und jetzt wird es nicht leicht sein, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.« Sie ließ Catriona los und sah ihr in die Augen, und sie empfand eine warme Liebe zu ihrer Großmutter, eine Liebe, die stärker war als je zuvor. »Ich glaube, sie wird irgendwann erkennen, wie sehr du sie geliebt hast und wie schwer es dir gefallen ist, dich von ihr zu trennen. Es kann lange dauern, aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben.«
»Ich hoffe schon seit vielen Jahren, dass sie mir verzeiht«, sagte Catriona. »Und ich bin bereit, so lange zu warten, wie es nötig ist.«
Harriet lächelte. »Wir alle haben etwas aus dieser Geschichte gelernt, Grandma.« Es tat gut, dieses wunderbare Wort auszusprechen. »Ich habe begriffen, dass die Liebe einer Mutter die mächtigste Liebe der Welt ist. Velda hat deshalb getötet, und du hast deshalb deinen Ehemann verloren und dein Leben lang nach deinem Kind gesucht. Auch meine Mutter liebt mich mehr, als ich wusste, und eines Tages, vielleicht schon bald, wird auch sie wissen wollen, wie es ist, die Liebe der eigenen Mutter zu spüren. Denn wer dieses große Geschenk nicht selbst erlebt, kann niemals ganz vollständig sein.«
EPILOG
Ein Jahr später
H arriet lenkte den Wagen unter dem Torbogen hindurch und sah, dass die lange Zufahrt zur Farm endlich geschottert worden war. Der Motor schnurrte, und die Reifen summten, und sie begann sich zu entspannen. Es war eine Heimkehr, wie sie ihr in den letzten Monaten zwei Mal vergönnt gewesen war. Als sie auf dem Gipfel der Anhöhe angekommen war, hielt sie an und schaute lächelnd auf Belvedere hinunter.
Zu diesem besonderen Anlass hatte das Farmhaus einen neuen Anstrich bekommen. Rosen wucherten in prachtvollem Überfluss an den Verandapfosten hinauf und mischten sich oben mit den Bougainvilleen. Die Weiden erstreckten sich weithin – ein friedlicher grüner Hintergrund nach dem letzten Regen und ein scharfer Kontrast zu dem emsigen Treiben zwischen Farmhaus und Nebengebäuden.
Zahlreiche Autos und Geländewagen parkten neben der großen Scheune. Chrom und Glas blinkten in der Sonne, und die Kleider
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