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Die Farm

Die Farm

Titel: Die Farm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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ihren ganzen Besitz handelte. Er landete zu meinen Füßen, und ich hielt ihn fest, als wäre er ungeheuer wertvoll. Neben mir saß ein schuhloses kleines Mädchen - kein Kind hatte Schuhe. Sie trug eine Bluse ohne Ärmel, fror und hielt sich an meinen Beinen fest, als würde der Wind sie sonst forttragen. Sie hatte Tränen in den Augen, aber als ich sie ansah, sagte sie: »Danke.« Mrs Latcher stieg ein, trat zwischen ihre Kinder, schrie ihren Mann an, weil er sie anschrie.
    Nachdem das Boot jetzt voll beladen war und alle Latchers in Sicherheit, wendeten wir und steuerten es zurück zur Straße.

    Wir an Bord duckten uns, damit es uns nicht ins Gesicht regnete.
    Mein Vater und Mr Latcher strengten sich fürchterlich an, um das Boot gegen den Wind vorwärts zu bewegen. An manchen Stellen war das Wasser nur knietief, aber nach ein paar Schritten reichte es den Männern wieder bis zur Brust, und dann konnten sie kaum mehr schieben oder ziehen. Sie mühten sich ab, damit wir in der Mitte des Wegs blieben und nicht in die Baumwolle trieben. Der Rückweg dauerte viel länger.
    Pappy war nicht da. Er hatte noch nicht genügend Zeit gehabt, um die erste Ladung abzusetzen und für die zweite zurückzukehren. Als wir auf Schlamm stießen, band mein Vater Mr Jeters Boot an einen Pfosten und sagte: »Zwecklos, hier zu warten.« Wir wateten durch den Schlick und kämpften gegen den Wind und den Regen an, bis wir den Fluss erreichten. Die Latcher-Kinder fürchteten sich vor der Brücke.
    Nie zuvor war ich unter solchem Gebrüll über die Brücke gegangen. Sie klammerten sich an ihre Eltern. Mr Latcher trug mittlerweile den Sack, Auf halber Strecke über die Brücke blickte ich auf die Planken vor mir und sah, dass Mrs Latcher wie ihre Kinder keine Schuhe anhatte.
    Als wir sicher auf der anderen Seite waren, sahen wir Pappy auf uns zukommen.
    Gran und meine Mutter warteten auf der hinteren Veranda, wo sie eine Art Fließband installiert hatten. Sie hießen die zweite Latcher-Gruppe willkommen und dirigierten sie auf die Seite der Veranda, wo ein Haufen Kleider lag. Die Latchers zogen sich aus, manche verschämt, andere nicht, und zogen alte Chandler-Sachen an, die sich seit Jahrzehnten in der Familie befanden. Kaum trugen sie trockene warme Sachen, wurden sie in die Küche gebeten, wo genügend Essen für mehrere Mahlzeiten aufgetragen war. Gran hatte Würstchen und Schinken aufgeschnitten und zwei Bleche mit Brötchen gebacken. Auf dem Tisch standen große Schüsseln mit allen Sorten Gemüse, die meine Mutter im letzten halben Jahr gezogen hatte.
    Die Latchers setzten sich an den Tisch, alle zehn - das Baby schlief irgendwo. Die meiste Zeit schwiegen sie, vielleicht weil sie sich schämten oder weil sie erleichtert waren oder weil sie einfach nur Hunger hatten. Sie reichten einander die Schüsseln und bedankten sich gelegentlich. Meine Mutter und Gran schenkten Tee aus und kümmerten sich um alles. Ich beobachtete sie von der Tür aus. Pappy und mein Vater saßen auf der vorderen Veranda, tranken Kaffee und sahen zu, wie der Regen allmählich nachließ.
    Als für alles gesorgt war, gingen wir ins Wohnzimmer, wo Gran im Kamin ein Feuer gemacht hatte. Wir setzten uns alle fünf davor und horchten lange Zeit auf die Latchers in der Küche. Ihre Stimmen klangen gedämpft, aber ihre Messer und Gabeln klapperten. Sie hatten es warm, waren in Sicherheit und nicht mehr hungrig. Wie konnten Menschen nur so arm sein?

    Mir war es nicht möglich, die Latchers länger zu hassen. Sie waren Menschen wie wir, die jedoch das Pech gehabt hatten, als arme Farmpächter geboren zu sein. Es war falsch von mir, sie zu verachten. Außerdem gefiel mir Libby.
    Ich hoffte bereits, dass sie mich mochte.
    Wir genossen zufrieden das Gefühl unserer Herzensgüte, als irgendwo im Haus das Baby zu plärren anfing. Gran sprang auf und war blitzschnell verschwunden. »Ich werde nach ihm sehen«, hörte ich sie in der Küche sagen. »Ihr esst zu Ende.«

    Kein einziger Latcher war aufgestanden. Das Baby schrie seit der Nacht seiner Geburt, und sie waren daran gewöhnt.
    Wir Chandlers jedoch nicht. Es weinte während des restlichen Mittagessens. Gran trug es eine Stunde lang herum, während meine Eltern und Pappy die Latchers in die Scheune brachten.
    Libby kam mit ihnen zurück, um nach dem Kleinen zu sehen, der noch immer schrie. Es regnete nicht mehr, deswegen trug meine Mutter ihn um das Haus, aber auch im Freien beruhigte er sich nicht. Nie zuvor hatte ich

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