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Die Farm

Die Farm

Titel: Die Farm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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zur Brust im Wasser.
    Ich sah zu den verängstigten, niedergeschlagenen Gesichtern auf der Veranda. Die Kleidung der Latchers war noch zerlumpter als beim letzten Mal. Sie waren mager und ausgemergelt und litten wahrscheinlich Hunger. Ein paar der jüngeren Kinder lächelten, und ich kam mir plötzlich sehr wichtig vor. Aus der Menge trat Libby Latcher, die das in eine alte Decke gewickelte Baby trug. Ich hatte Libby nie zuvor gesehen und konnte gar nicht glauben, wie hübsch sie war. Sie hatte langes hellbraunes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte.
    Ihre Augen waren hellblau und funkelten. Sie war groß und mager wie die anderen. Als sie das Boot bestieg, stützten Pappy und mein Vater sie. Sie setzte sich mit ihrem Baby neben mich, und plötzlich sah ich mich meinem jüngsten Cousin gegenüber.
    »Ich bin Luke«, sagte ich, obwohl es ein merkwürdiger Zeitpunkt war, um sich vorzustellen. »Ich bin Libby«, sagte sie mit einem Lächeln, das mir Herzklopfen verursachte. Ihr Baby schlief. Der Kleine war nicht viel gewachsen, seitdem ich ihn in der Nacht seiner Geburt im Fenster gesehen hatte. Er war winzig und faltig und hatte wahrscheinlich Hunger, aber Gran wartete auf ihn.
    Rayford Latcher kam als Nächster an Bord und setzte sich so weit weg von mir wie möglich. Er war einer der drei, die mich verprügelt hatten, als wir das letzte Mal bei ihnen gewesen waren. Percy, der älteste Junge und Anführer, versteckte sich irgendwo auf der Veranda. Zwei weitere Kinder wurden ins Boot gehoben, dann sprang Mr Latcher herein. »Wir sind in ein paar Minuten wieder da«, sagte er zu Mrs Latcher und den anderen, die noch auf der Veranda standen. Sie blickten drein, als hätte man sie dem sicheren Tod überlassen.

    Es regnete heftig, und der Wind wehte ständig aus einer anderen Richtung. Pappy und mein Vater paddelten so gut sie konnten, aber das Boot bewegte sich kaum von der Stelle. Mr Latcher sprang ins Wasser, und einen Augenblick lang war er verschwunden. Dann hatte er Boden unter den Füßen, das Wasser reichte ihm bis zur Brust. Er griff nach dem Seil, das am Bug befestigt war, und begann uns den Weg entlangzuziehen.
    Der Wind trieb uns immer wieder in die Baumwolle, und auch mein Vater verließ das Boot und schob es von hinten an.
    »Vorsicht vor den Schlangen«, warnte ihn Mr Latcher noch einmal. Beide Männer waren patschnass.
    »Percy wäre beinahe von einer gebissen worden«, sagte Libby zu mir. »Sie wurde auf die Veranda geschwemmt.« Sie beugte sich über das Baby, damit es nicht nass wurde.
    »Wie heißt er?«, fragte ich.
    »Er hat noch keinen Namen.«
    So einen Unsinn hatte ich noch nie gehört. Ein namenloses Baby. Die meisten Kinder von Baptisten hatten zwei oder drei Namen, noch bevor sie geboren wurden.
    »Wann kommt Ricky nach Hause?«, flüsterte sie.
    »Weiß ich nicht.«
    »Geht’s ihm gut?«
    »Ja.«
    Sie schien ganz versessen auf Neuigkeiten von Ricky, und mir wurde unbehaglich zumute. Andererseits war es nicht unangenehm, neben einem so hübschen Mädchen zu sitzen, das mit mir flüstern wollte. Ihre jüngeren Geschwister hatten die Augen weit aufgerissen angesichts dieses Abenteuers.
    Als wir uns der Straße näherten, wurde das Wasser seichter, und schließlich blieb das Boot im Schlamm stecken. Wir stiegen alle aus, und die Latchers wurden in den Pick-up verladen. Pappy setzte sich ans Steuer.
    »Luke, du bleibst bei mir«, sagte mein Vater. Als der Pick-up davonfuhr, wendeten Mr Latcher und mein Vater den Kahn und zogen und schoben ihn zurück zum Haus. Der Wind wehte so stark, dass sie sich dagegen lehnen mussten. Ich saß mit gesenktem Kopf im Boot und versuchte trocken zu bleiben. Der Regen fiel in kalten Tropfen, die immer härter wurden. Der See um das Haus war aufgewühlt, als wir uns näherten. Mr Latcher zog das Boot zur Veranda und schrie seiner Frau Anweisungen zu. Ein kleiner Latcher wurde heruntergereicht und fiel fast ins Wasser, als eine Bö das Boot traf und abtrieb. Percy streckte einen Besenstiel herunter, und ich griff danach und half, das Boot zurück zur Veranda zu ziehen.
    Mein Vater brüllte dies und das, Mr Latcher ebenfalls. Es waren noch vier Kinder übrig, und alle wollten gleichzeitig ins Boot. Ich half ihnen, einem nach dem anderen. »Vorsichtig, Luke!«, rief mein Vater mindestens ein Dutzend Mal. Als die Kinder im Boot waren, warf Mrs Latcher einen Sack herein, der anscheinend mit Kleidern voll gestopft war. Ich vermutete, dass es sich dabei um

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