Die Fastnachtsbeichte
der Kriminalrat, »es sind nur
noch ein paar ganz kurze Fragen. Die müssen Sie uns aber beantworten.
Ich habe nach Ihrem Sohn Ferdinand gefragt.« Die Bäumlern regte sich nicht.
»Therese«, sagte Panezza leise mahnend,
und versuchte, sie durch ein Unterfassen ihres Ellbogens zum Aufstehen zu
bewegen. Sie zog mit einer barschen, unwilligen Bewegung ihren Arm zurück, ihr
Kopf sank tiefer. »Reeschen«, sagte Jeanmarie bittend, und strich ihr über die
Hände. Sie hob den Kopf, schaute Jeanmarie ins Gesicht. »Das wißt ihr doch«,
murmelte sie dann, ohne aufzustehn. »Mein Ferdinand lebt nicht mehr.« Sie sah
Jeanmarie vorwurfsvoll an, als sei er daran schuld, daß man sie hier so plage.
»Sie nehmen also an«, fuhr Merzbecher
fort, »daß Ihr Sohn Ferdinand tot ist. Wie sind Sie zu dieser Annahme
gekommen?«
Die Bäumlern schaute wieder in ihren
Schoß, und ließ den Kopf tiefer sinken, ihre Augen waren nicht mehr zu sehn.
Ihr Atem begann kurz und seufzend zu pfeifen.
Jetzt erhob sich Panezza. »Ich habe
nicht das Recht«, sagte er, »Ihnen hier dreinzureden, aber ich verstehe nicht,
warum man die Frau mit völlig überflüssigen Fragen quält, die sie nur verletzen
müssen. Es ist doch allgemein bekannt, daß der Ferdinand Bäumler tot ist.«
»Wissen Sie das genau?« fragte der
Kriminalrat, »könnten Sie das beeiden?«
»Ich kann beeiden«, sagte Panezza, »daß
ich in meiner Eigenschaft als Amtsvorsteher und Armenpfleger von
Nieder-Keddrich selbst die Dokumente gesehen und begutachtet habe, aus denen
das einwandfrei hervorging. Der Ferdinand Bäumler ist, als Fremdenlegionär, bei
Wahdi Askrah gefallen.«
»Was für Dokumente sind das gewesen?«
»Eine amtliche Benachrichtigung von
seinem Bataillon, in französischer, und vom deutschen Konsulat in Algier, in
deutscher Sprache. Außerdem wurden der Frau seine Habseligkeiten
zurückgeschickt.« Worin die bestanden hätten? Das wisse er nicht mehr ganz
genau, aber es sei nichts von Bedeutung gewesen. Eine billige Uhr, ein
Soldbuch, ein Groschenroman, ein deutsch-französischer und ein
deutsch-italienischer Dictionnaire und ein paar Briefe, die er von seiner
Mutter bekommen hatte, sonst nichts, soweit er sich entsinne. Aber diese Dinge
seien wohl alle noch bei der Frau Bäumler vorzufinden, falls das von Belang
sei.
Die Bäumlern hatte jetzt ihre Ellbogen
auf die Schenkel gestützt, und sah, mit vermörtelten Lippen und einem stieren,
bösen Blick, zum Podium hinauf.
»Wann ist diese Todesnachricht
eingetroffen?« fragte Merzbecher. »Warten Sie«, sagte Panezza, »es muß letzte
Ostern gewesen sein. Ja, es war in der Karwoche, vorigen Jahres.« — »Danke,
Herr Panezza«, sagte der Kriminalrat.
»Ich muß Ihnen jetzt«, fuhr er nach
einer verlegenen Pause fort, »leider eine persönliche Identifikation zumuten,
von der wir mit dem besten Willen auch die Mutter — ich meine Frau Bäumler —
nicht ausschließen können. Vielleicht darf ich die Herren, die sie näher
kennen, bitten, ihr nach Kräften beizustehn. Ich rufe Herrn Adelbert Panezza,
Herrn Leutnant Panezza, Frau Bäumler, dann Euer Hochwürden« — er neigte sich zu
Henrici -, »Herrn Dr. Carlebach und den Domschweizer Philipp Seilheimer.«
Es erhoben sich außerdem der
Oberstaatsanwalt, der Gerichtsarzt und der Kriminalkommissar; einer der
Schutzleute hatte bereits die schwere Doppeltür zur Leichenhalle geöffnet, aus
der ein sonderbar ätzender Geruch, wohl von einem Desinfektionsmittel, drang.
Alle Aufgerufenen hatten schon ihre
Sitze verlassen, nur Jeanmarie war bei der Bäumlern geblieben und versuchte
nun, sie zum Aufstehen und Mitkommen zu bewegen. Mit der aber war während der
letzten Sätze des Kriminalrats eine vollständige Veränderung vor sich gegangen.
Ihr Gesicht sah auf einmal nicht mehr alt, verhärmt und verfallen aus, sondern
es war auf unbegreifliche Weise jung und straff geworden, die Falten um den
Mund und um die Augen hatten sich verzogen oder geglättet, die Lippen standen
offen und ließen eine Reihe noch gut erhaltener Zähne sehn, und ihre Augen
glänzten in einer wilden, fiebrigen, fast hysterischen Spannung. Jeanmarie —
obwohl er nicht wußte, was bevorstand — erschrak furchtbar. Es war ihm klar,
daß etwas völlig Wahnwitziges in ihr vorgegangen war und daß sie, ohne etwa den
Worten genau gefolgt zu sein oder ihren Sinn richtig verstanden zu haben, nun
etwas ganz und gar Irreales erwartete, eine Auferstehung, ein Wunder,
jedenfalls ein Ereignis, das in
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