Die Fastnachtsbeichte
betastet hatte, und daß
sie ihm nachgerannt sei, um ihn zu strafen. Jeanmarie aber hatte etwas wie
einen beklemmenden Schauder verspürt, und seine Hand, mit der er Viola jetzt an
sich hielt, zitterte nervös. Vielleicht auch war es das Zittern ihres Armes,
das in seine Nerven übersprang. Ihre Lippen waren weiß geworden, ihre Augen
schienen versteinert.
»Wir müssen uns irgendwo hinsetzen«,
meinte Bettine, »es regt sie zu sehr auf.« Sie lief voraus, da sie in der Nähe
ein kleines Café wußte, wo man vielleicht ein Tischchen ergattern könne.
Langsam folgte Jeanmarie mit der noch immer bebenden Viola. Plötzlich blieb er
stehn und wandte sich ihr zu, ohne sie loszulassen. »Darf ich dich etwas
fragen«, sagte er. Sie schaute an ihm vorbei, antwortete nicht. »Warum«, sagte
er, »bist du hierher gekommen?«
Ihr Arm hörte auf zu zittern. Sie
drehte ihm das Gesicht zu, es war blaß und unbewegt, in ihren Augen glimmte
etwas Böses, Feindseliges. »Weshalb fragst du mich das?« sagte sie leise. Er
zuckte die Achseln, sah ihr voll ins Gesicht. Ihre Augen veränderten sich,
wurden weich, dunkel, vertrübt. Eine Art von Lächeln spielte um ihren Mund.
»Weil ich dich gesucht habe«, sagte sie traurig. »Dich, Jeanmarie.« Dann
wendete sie sich ab, ließ seinen Arm fahren, ging voraus. Jeanmarie folgte
betroffen.
A m Sonntag gegen Abend hatte Panezza
eine sehr unangenehme Nachricht bekommen, es war mitten während eines
Dämmerschoppens des ›Großrats der Närrischen Elf, deren jeder aber noch elf
Gäste hatte mitbringen dürfen, so daß es im ganzen zwölf mal elf plus eine
Person waren, nämlich die der Prinzessin Karneval. Sie hatten sich die
Büttenredner, die bei einer solchen Gelegenheit, in einem leeren Faß stehend,
witzige Suaden und manchmal sogar Stegreif-Verse improvisierten, zum Ziel
genommen, indem sie abwechselnd versuchten, in durchweg charmanter, nicht
aggressiver Weise die beiden k in ihrem Nachnamen zu veralbern und sie
womöglich noch mit dem großen K ihres Vornamens zu alliterieren. »Das
Katharinche hat zwei k — k — Koppkisse zu Haus, — das Katharinche hat zwei k —
k — Kappekavalier am Bendel« — und so weiter, und das Publikum sparte weder mit
Beifall, wenn es eine kleine Anzüglichkeit oder Anspielung vermutete, noch mit
dem vernichtenden Mißfallensruf: »Der Aff! Der Aff!«, wenn ein Witz ihm zu
albern oder gar ungehörig erschien: dann stürzte eine über der Bütt an
Zugschnüren aufgehängte Wollglocke mit wüster Affenmaske herunter und bedeckte
den Erfolglosen mit seiner Schande.
Panezza ließ sich nicht merken, daß er
bei diesen Späßen, soweit sie seine prinzliche Gefährtin betrafen, auf heißen
Kohlen saß, und lachte sogar überlaut, aber mit leeren Augen, bei jeder
halbwegs erträglichen Pointe. So empfand er es fast als eine temporäre
Erlösung, als ihn ein buntbekappter Kellner zum Telefon rief. Doch als er
zurückkam, schien er ernst und verändert, flüsterte rasch mit Katharina, deren
immer gleichmütiges, sanftes Gesicht mit dem verträumten Lächeln und den
feuchtwarmen, etwas einfältigen Augen ohnehin nie etwas von ihren
Heimlichkeiten verriet, und entfernte sich unauffällig während eines gemeinsam
gesungenen, vom närrischen Hofdichter verfaßten Dialektlieds.
Da an diesem Tag außer einer
karnevalistischen Festausgabe keine Zeitung erschienen war, hatte bisher
niemand, auch er nicht, irgend etwas von dem unheimlichen Ereignis im Dom und von
der Verhaftung im Kappelhof erfahren. Jetzt aber hätte man ihn von seiten des
Kriminalgerichts informiert, daß er — in seiner Eigenschaft als ehrenamtlicher
Ortsvorsteher von Nieder-Keddrich und auch aus anderen, noch nicht
bekanntzugebenden Gründen — wegen eines Mordfalles zusammen mit seinem Sohn
Jeanmarie auf Montag früh neun Uhr zu einer gerichtlichen Untersuchung
vorgeladen sei. Auch habe er für das gleichzeitige Erscheinen der Witwe Therese
Bäumler aus Nieder-Keddrich Sorge zu tragen. Auf seine bestürzte Rückfrage, ob
man denn nichts von seinen unaufschiebbaren Verpflichtungen an diesem Tag wisse
— denn um elf Uhr elf Minuten elf Sekunden beginne doch der große
Fastnachtszug, auf den die ganze Stadt und ein paar tausend zugereister
Besucher warteten und bei dem er unter keinen Umständen fehlen könne — , hatte
man ihm bedeutet, es handle sich um eine besonders dringliche Angelegenheit,
deren Aufklärung nicht verzögert werden dürfe. Jedoch nehme man an, daß man
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