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Die Fastnachtsbeichte

Die Fastnachtsbeichte

Titel: Die Fastnachtsbeichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Zuckmayer
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»Sind Sie imstande«, fragte er sie, »diesen Mann einwandfrei
wiederzuerkennen, wenn er Ihnen vorgeführt wird?«
    »Selbstverständlich«, sagte sie spitz,
»ich erkenne jeden meiner Gäste wieder.«
    »So, so«, sagte Merzbecher, »dann darf
ich Sie bitten, sich vorläufig auf Ihren Platz zurückzubegeben. Gerichtsdiener,
holen Sie den Verhafteten.«
    Keiner regte sich, als der Uniformierte
zur Gangtür schritt, nur Jeanmarie räusperte sich nochmals nervös. Man hatte
wohl den Verhafteten schon draußen in Bereitschaft gehalten, denn er betrat
sofort, in Begleitung eines weiteren Polizisten, den Saal. Seine Hände waren
nicht gefesselt, und er hielt seine rechte Hand krampfhaft unter dem Rock des
ausgebleichten Anstaltsanzugs aus Drillich oder Rupfen verborgen, in den man
mittellose Untersuchungshäftlinge zu kleiden pflegte. Nur als er der Offiziere
ansichtig wurde, nahm er beide Hände zu einer Ehrenbezeigung an die Hosennaht,
die ungeschickt und etwas komisch ausfiel, da er weite, schlappende
Strohpantoffeln an den Füßen trug. Dann steckte er die rechte Hand sofort
wieder unter den Rock, der keine Taschen hatte.
    Breitschultrig und ungelenk, mit den gewohnheitsmäßig
etwas gespreizten Beinen des altgedienten Kavalleristen, blieb er an der Seite
des Podiums stehn, den Blick zu Boden gesenkt. Sein gutes, festes Bauerngesicht
mit den abstehenden Ohren war ziemlich grün, die Augen umschattet.
    »Der Mann«, sagte Dr. Merzbecher zu den
Umsitzenden, »hat bis jetzt keinerlei Aussage gemacht, das heißt, er wäre kaum
dazu imstande gewesen. Der Gerichtsarzt hat bei seiner Einlieferung eine Art
von akuter Alkoholvergiftung festgestellt, wie sie bei Leuten vorkommt, die
nichts oder wenig zu trinken gewohnt sind und sich einem plötzlichen
alkoholischen Exzeß hingeben. Er soll schon nicht ganz nüchtern im Hause
Kappelhof Nr. 14 angekommen sein und hat dort, bekanntlich, in sinnlosem Tempo
einige Flaschen eines besonders schweren und besonders unbekömmlichen Weines
geleert« (ein empörter Schnaubton vom Sitz der Madame Guttier brachte ihn nicht
aus dem Text), »so daß er sich in einem Betäubungszustand befand, aus dem ihn
künstlich aufzuwecken wohl wenig Sinn gehabt hätte. Dieser Zustand hat den
ganzen gestrigen Tag hindurch angehalten, jetzt ist er nach Meinung des Arztes
wieder einigermaßen normal. Aber als man ihn nach seinem Erwachen mit der
Leiche des Ermordeten konfrontiert hat, erlitt er einen völligen Nervenzusammenbruch,
der sich in stundenlangem Zittern und in Weinkrämpfen äußerte, wir glaubten
sogar zeitweilig, daß er die Sprache verloren habe.«
    Der Mann, von dem er redete, stand
unterdessen unbeweglich und scheinbar teilnahmslos dabei, den Blick auf den
Fußboden geheftet.
    »Ich bitte nun«, sagte der Kriminalrat,
»die Herren vom sechsten Dragoner-Regiment — «
    In diesem Augenblick geschah etwas
Schreckliches. Die Bäumlern hatte nämlich während der erklärenden Worte des
Kriminalrats allmählich ihren vorher noch immer tiefgebeugten Kopf gehoben und
mit aufgerissenen Augen den Häftling angestarrt, der bisher nicht zu ihr
hingeschaut hatte. Jetzt sprang sie plötzlich auf, am ganzen Leibe zitternd,
und beide Arme in einer exaltierten, krampfigen Weise hochgereckt, mit weit gespreizten
Fingern, wie es bei Sektierern im Zustand der Ekstase oder auch bei
Epileptikern vorkommt, schrie sie mit überspannender Stimme aus
speichelspritzendem, fast schäumendem Mund: »Der hat’s getan!«
    Sie warf ihren rechten Arm mit
ausgestrecktem Zeigefinger nach vorn, als wolle sie ihn dem Angeschrienen ins
Gesicht bohren: »Der hat’s getan!« wiederholte sie keuchend. Der Mann hatte den
Kopf gehoben und starrte sie aus angstvollen, verzweifelten Augen an, wobei
seine kräftige Gestalt zu schwanken begann, so daß der neben ihm postierte
Polizist ihn am Arm packte. »Der hat’s getan«, sagte die Bäumlern zum
drittenmal mit einem hohlen, tauben Stimmklang und ließ sich erschöpft, schwer
atmend, auf ihren Stuhl zurückfallen.
    Jeanmarie hatte unwillkürlich nach ihr
gegriffen, als wollte er die Hand vor ihren Mund pressen, und hielt jetzt,
vielleicht ohne es zu wissen, ihre Schultern gefaßt, wie wenn er sie auf dem
Stuhl zurückhalten müßte. Panezza hatte seine Stirn in die Hand gestützt.
    »Frau Bäumler«, sagte der Kriminalrat
nach einigen Augenblicken eines gelähmten Schweigens, »das ist eine furchtbare
Beschuldigung. Es handelt sich, soviel wir wissen, um Ihren anderen Sohn,

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