Die Fastnachtsbeichte
die
Vernehmung, wenigstens soweit seine Anwesenheit dabei notwendig sei, vor elf
abschließen könne.
S o wurde am Montag morgen in
Keddrichsbach wieder ein Mietauto bemüht, und beide Panezzas, Vater und Sohn,
hatten ihre liebe Not, die Bäumlern zum Einsteigen in dieses ihr unheimliche
und widerwärtige Gefährt zu bringen, vor dem sie eine höllische Angst hatte.
Überhaupt hatte man sie fast gewaltsam aus ihrem, in einem kleinen
Zwiebelgärtchen gelegenen, baufälligen Backsteinhäuschen herausholen müssen.
Mit der Polizei, schrie sie immer wieder, habe sie nie etwas zu tun gehabt, und
wolle sie auch nichts zu tun haben. Sie sei eine anständige Person, und alles
andere sei Verleumdung und böse Nachrede, sie könne sich schon denken von
welcher Seite. Unter solchen gegenstandslosen Redensarten und Wutausbrüchen —
denn worum es sich wirklich handle, konnte man ihr nicht sagen, da man es
selbst noch nicht wußte — hatte sie sich zunächst geweigert, sich anzuziehen,
und nur das gute Zureden Jeanmaries, den sie als ihr Ammenkind ins Herz
geschlossen hatte und von dem sie nichts Böses erwartete, hatte es überflüssig
gemacht, den Ortspolizisten zu Hilfe zu rufen.
Jetzt saß sie zusammengekauert zwischen
den beiden Herren im Rücksitz des furchtbar stoßenden und holpernden Autos und
murmelte unverständliche Worte vor sich hin, die Gebet oder Fluch sein konnten.
Sie trug das schwarze Kleid, mit dem sie sonntags zur Kirche ging, und ein
ebenfalls schwarzes, aber mit Violett gemustertes, besseres Umschlagtuch um
Kopf und Schultern, das ihr Frau Panezza einmal zu Weihnachten geschenkt hatte.
Die Hände hatte sie in ihrem Schoß zu Fäusten geballt. Jeanmarie hatte seine
Uniform angelegt, da ihm bedeutet worden war, daß er auch in Sachen seines
Regiments auszusagen habe, und Panezza war im dunklen Anzug, doch zu seinen
Füßen standen zwei große Kartons, in denen sich das gesamte Kostüm des Prinzen
Karneval mit all seinem Zubehör befand. Er stand vor der etwas peinlichen
Aufgabe, sich dann im Gerichtsgebäude umkleiden und es als Närrische Hoheit
verlassen zu müssen.
Als sie über die Straßenbrücke fuhren,
lag der schon beruhigtere, merklich abgeschwollene Strom in einem klaren,
föhnigen Licht, gleichsam geronnen. Es war alles wie blankes Metall, die Wellen
schienen sich nach aufwärts zu stauen, man konnte kaum ihr starkes Fließen an den
Brückenpfeilern erkennen. Der Taunus wie ein dicker, schwarzblauer Wurm auf den
Fußboden gekrümmt, die Stadt so nah und schwer, als wollte sie den
Herankommenden auf den Kopf fallen. Selbst die tiefen schillernden Wolken am
emailblauen Himmel waren stehengeblieben und glotzten fischäugig herab. Die
Bäumlern flunschte und murmelte, sonst sprach keiner ein Wort.
Beim Hauptportal des Amtsgerichts in
der Schloßstraße wurden sie von einem Schutzmann zum Seiteneingang gewiesen und
dann in einen mittelgroßen Raum geführt, der neben der Leichenhalle lag.
Einige Herren hatten sich dort
versammelt, die Panezza durchweg bekannt waren: an einem kleinen Tisch auf
einem Podium saßen, ohne Amtstracht, der Oberstaatsanwalt Dr. Classen, ein
vollbärtiger Herr aus einer preußischen Familie, der hier nicht sehr beliebt
war, der Kriminalrat Dr. Merzbecher mit zwei Kollegen und ein junger, noch
wenig bekannter Anwalt namens Levisohn. Außerdem der Gerichtsarzt, ein
Kommissar, zwei uniformierte Schutzleute, die neben dem Podium standen, und ein
Gerichtsdiener. Auf halbkreisförmig angeordneten Stühlen dem Podium vis-à-vis
saßen der Domkapitular Dr. Henrici, dann Dr. Carlebach, der vertraute Hausarzt
vieler guter Familien, und einer der beiden Domschweizer in Zivil, der andere
war wegen eines Anfalls von Gelenkrheumatismus entschuldigt. Zu seinem Staunen
fand Jeanmarie außerdem den Regimentsadjutanten der 6er Dragoner, einen
Rittmeister Graf Riedesel, sowie den etatsmäßigen Wachtmeister der dritten
Schwadron, bei der er selber Dienst tat.
Man begrüßte sich kurz und leise, die
beiden Panezzas nahmen ebenfalls in dem Halbkreis Platz und zogen die
widerstrebende, niemanden anschauende Bäumlern zwischen sich auf einen Stuhl.
Dort saß sie jetzt still und ohne Murmeln, mit einem Gesicht, als sei der
Jüngste Tag angebrochen. Man habe nur noch, sagte der Oberstaatsanwalt, auf
zwei weitere Zeugen zu warten, bevor man mit der Untersuchung beginnen könne.
Panezza schaute nervös auf die Uhr, als
man draußen mit lautem Hufgeklapper eine zweispännige Chaise
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