Die Favoritin
Füßen geboren! Daher die uralte Institution der Chasqui oder Läufer. Habt Ihr, von Lima kommend, nicht jene kleinen Häuser bemerkt, die sich jeweils im Abstand einer halben Meile oberhalb der Nan Cuna hinziehen? Es sind die Wechselposten. Dort leben ständig mehrere Chasqui. Einer von ihnen hält immer Wache. Sowie er einen Mann von der vorhergehenden Station herankommen sieht, saust er los, nimmt im Fluge die Botschaft entgegen und läuft, so schnell er kann, dem Chasqui des folgenden Postens die Botschaft weiterzugeben, der sie wiederum mit derselben Geschwindigkeit dem nächsten Posten übermittelt, und so geht es weiter bis zum Bestimmungsort. Ich nenne Euch nur ein Beispiel: eine Botschaft, die in Cuzco aufgegeben wird, braucht nur fünf Tage, um die fünfhundert Meilen bis Quito zu überwinden! Auf die Weise war der Inka sehr schnell über alles informiert. Die Chasqui sorgten außerdem dafür, daß die kaiserliche Tafel mit Meeresfischen, Krustentieren und mit Früchten aus den heißen Zonen versorgt wurde. Die Einrichtung hat überlebt. Nachdem die großen Männer der Conquista sich gegenseitig umgebracht haben, benutzen die von Seiner Spanischen Majestät eingesetzten Verwalter sie noch heute.
Hier allerdings sucht Ihr die Chasqui vergeblich, Pater Juan. Im Gebirge verständigen wir uns mit Hilfe von Feuern. Bei Tage ist der Rauch aus weiter Ferne zu sehen. Bei Nacht lesen die Wächter aus den Flammen. Das geht noch schneller. Oft werden auch beide Übermittlungen nebeneinander benutzt. Ich habe erlebt, wie der große Huayna Capac binnen zwei Stunden über den Aufstand einer Provinz unterrichtet war, die über vierhundert Meilen entfernt lag!
Hernando Pizarro lud mich nicht ein weiteres Mal zu Tisch.
Wir aßen in dem Gemach, das mir zugewiesen war und das ich mit Inkill Chumpi und Qhora teilte.
Der Raum hatte zwei Öffnungen: eine schmale hoch unter dem Deckenbalken, die uns von einem kleinen Innenhof her Licht gab, und die Tür, die ein Vorhang schloß.
Auf der anderen Seite des Vorhangs hielten zwei Soldaten Wache, die morgens und abends abgewechselt wurden. Groll stand in ihren Gesichtern zu lesen. Drei Indiofrauen zu bewachen, ohne daß man sie antasten durfte, mußte ihnen als sehr unmännliche Pflicht erscheinen.
Jeden Abend kam Hernando.
»Der Inka läßt auf sich warten, Señora Asarpay.«
»Eine solche Menge Gold zu transportieren erfordert große Anstrengungen, Exzellenz.«
Als aber Tag um Tag verrann, gab ich keine Antwort mehr. Es war unnütz. Er wußte Bescheid, auch wenn er gegenüber seinen Brüdern und seinen Vertrauten den Irrtum nicht eingestehen wollte, zu dem ihn die Gier verleitet hatte.
Eines Morgens gab es ungewohnte Unruhe im Palast.
Ich hob den Vorhang und fragte einen Soldaten, was es gebe.
»Der Inka ist geflohen. Eine Patrouille hat die beiden Offiziere gefunden, die ihn begleiteten. Don Hernando rüstet sich, ihm nachzujagen, dann haut er den Hund in Stücke, und danach kommst du dran.«
Ich streckte mich auf mein Lager. Inkill Chumpi, einen Finger im Mund, sang vor sich hin. Das tat sie, seit sie in dem Palast war. Der monotone Singsang zerrte an meinen Nerven. Nichts brachte sie zum Schweigen, außer Essen, Schlafen oder wenn ich ihr die Haare kämmte.
Qhora flüsterte.
»Was werden sie uns tun?«
»Dir und der Kleinen, weiß ich nicht. Schließlich könnt ihr nichts dafür, und Hernando ist kein Ungeheuer wie seine Brüder. Mir … An irgend jemand muß er ja seine Wut auslassen.«
Sie fing an zu weinen. Ich streichelte ihren Kopf.
»Der Inka konnte nicht wiederkommen, ich wußte, daß er nicht wiederkommen würde. Was zählt da schon eine Frau!«
Diesmal, Pater Juan, ergab ich mich, ich schickte mich in mein Los.
Abends ging Qhora mit einem Soldaten zur Küche, unser Essen zu holen.
Um mich zu beschäftigen, knüpfte ich das Band auf, das Inkill Chumpis Haare zusammenhielt, und löste sie. Sie schwieg.
Ich genoß die Stille. Auf einmal hallte ein energischer Schritt durch den Innenhof. Ich erkannte ihn. Der Kamm glitt mir aus der Hand. Die Kleine nahm ihren Singsang wieder auf. Sie verstummte erst, als Villalcázar eintrat.
Ich erhob mich.
»Hernando wird dich umbringen«, sagte er.
»Wenn du mir weiter nichts zu sagen hast …«
»Asarpay! Kannst du mich nicht einmal anders sehen?«
»Wie soll ich dich denn sehen?«
Er trat näher.
»Ich bin nicht dein Feind.«
»Dann erkläre mir, was ich hier soll!«
»Wenn du versprichst, daß du
Weitere Kostenlose Bücher