Die Feen - Hallmann, M: Feen
aufgebrachten Fünftklässler erfuhr, dass er den Westflügel nicht zu betreten habe. Achselzuckend machte er kehrt. Ihm war zumute, als gebe es – vielleicht mit Ausnahme von Callahan und Mister Ross – keinen vernünftigen Menschen in diesem ganzen bescheuerten Tal. Das vernünftigste Geschöpf, dem er bisher begegnet war, hatte vier Pfoten und stromerte vermutlich gerade draußen durch den Regen, der eingesetzt hatte, als er die Burg erreichte. Im Südflügel suchte er sich eine stille Nische, in der ein paar Sessel standen, kuschelte sich in einen davon und starrte vor sich hin. Er fühlte sich hundeelend, ohne genau zu wissen, weshalb.
15 Von Mäusen und Kröten
15 VON MÄUSEN UND KRÖTEN
S il behagte es nicht, das kleine Häuschen zu verlassen. Es gefiel ihm viel besser als die riesige, zugige Burg. Im Häuschen gab es zwei Feuer und manchmal ein drittes, das Feuer im Herd, das er liebte, überall war es heimelig und roch gut. Die Zeit, als diese Feuer kalt gewesen waren und das Häuschen leer, lag manchmal noch auf ihm wie ein schwerer Stein, den er mit sich herumtrug. Und manchmal, wenn er in der anderen Welt gewesen war, wo das Feuer blau war und nicht biss, dann war der Stein besonders schwer, weil es ja sein konnte, dass vielleicht die Feuer wieder kalt waren und das Häuschen leer, wenn er zurückkehrte. Wenn das eines Tages so war, dann wäre sie gegangen. Die Wärme der Feuer und die Wärme des Herds und der gute Geruch im Haus, das alles kam von ihr. Und Menschen waren nicht für immer da, das hatte Sil schon erfahren. Ohne sie wäre das Haus nur noch ein Ding aus Stein. Es war seltsam und schrecklich, er mochte nicht daran denken. Also tat er es nicht länger, sondern hockte sich vor das Feuer im großen Kamin, streckte die Finger hinein und suchte nach einem ganz bestimmten anderen Feuer drüben auf der Burg. Es war schwer, wenn der Feuersänger ihm nicht dabei half, weil es dort drüben viele Feuer gab und die meisten zum Verwechseln ähnlich flüsterten und raunten. Das riesige Feuer der Küche fand er schnell, und auch das seltsame Feuer, in das er nicht hineindurfte, das hatte sie ihm oftoft gesagt, nicht in die Heizung, hatte sie ihm gesagt, auf keinen Fall in die Heizung. Endlich war er sicher, das richtige Feuer gefunden zu haben. Er schlüpfte durch die Flammen und kam in einem fauchenden Kamin auf der Burg wieder heraus. Die Flammen waren zornig und schwach, weil sie vergessen worden waren. Keine Nahrung mehr. Kopfschüttelnd zerrte Sil ein paar Scheite herbei und fütterte das Feuer. Armes, gutes Feuer, armer, guter Sil. Beide hungrig. Aber das Feuer zischelte und knackte bald zufrieden, jetzt war es satt, nur Sil war noch hungrig. Die Nacht war schlimm gewesen, so schlimmschlimm, dass niemand an ihn gedacht hatte. Es war schlimm, wimmernd an Ärmeln zu ziehen, ohne dass man beachtet wurde. Niemand hatte für ihn gekocht, kein Brei, keine Schokolade. Es war schlimm, tapfer und gut zu sein, ohne dafür belohnt zu werden!
Er schaute sich im Zimmer um. Niemand da, es war leer. Aber es war das richtige Zimmer. Er hatte es gut gemacht. Also hatte er eine Belohnung verdient. Weil niemand da war, musste er sich selbst eine suchen. Er hopste zu dem Bett, in dem er meistens Schokolade fand. Der Großfuß, der sie für ihn versteckte, spielte gern. Sil suchte unter dem Kopfkissen, in den Ritzen zwischen der Matratze und dem Rahmen, er schaute sogar in die weichen, pelzigen Schuhe, die unter dem Bett standen. Nichts. Nachdenklich legte er einen langen Finger an den Mund und an die Nase und an die Stirn, so lang war der Finger, dass er über das ganze Gesicht reichte. Er schnüffelte. Da war nichts. Das konnte nicht sein.
Aufgeregt suchte er noch einmal, aber auch diesmal fand er nichts. Nur die Spur eines Geruchs, der zu einem der Schränke führte. Schränke waren nichtgut, auch das hatte sie ihm eingeschärft, nicht in fremde Schränke gehen . Manchmal wohnte etwas in fremden Schränken, das nicht gern gestört wurde, und es konnte auch passieren, dass man gerade mitten in einem schönen Schrank war und dort einschlief, dann kam jemand und schloss ihn zu, und man war gefangen. Sil zischte. Nichtgut!
Er schlich zum Schrank und überlegte. Es war ein sehr großer Schrank. Aber er sah keinen Schlüssel daran. Das war gut. Ohne Schlüssel konnte man nicht abschließen. Vorsichtig näherte er sich dem riesigen Schrank und klopfte erst einmal daran. In den Winkeln des Zimmers regten sich ein paar
Weitere Kostenlose Bücher