Die Feen - Hallmann, M: Feen
Schatten, aber er kümmerte sich nicht um sie, sie waren überall, und sie taten nichts, wenn man nicht zornig war.
Keine Antwort aus dem Schrank. Sil legte den Kopf schief und klopfte noch einmal. »Hallo-ooo!«, flötete er.
Nichts. Keine Antwort. Kein Fauchen, kein Brummen, keine freundliche Stimme. Nur Stille.
Sil hatte ein bisschen Angst, sie saß in seiner Brust und machte, dass es wehtat. Es war ein sehr fremder Schrank. Aber er gehörte dem, der gern spielte und für Sil Schokolade im Bett versteckte. Also war es wahrscheinlich ein freundlicher Schrank. Und Sil war tapfer und gut und nicht ängstlich. Also fingerte er an der Tür herum. Sie war schwerschwer. Es war viel Arbeit, sie aufzubekommen. Sil mochte Arbeit nicht. Er mochte Schüsseln auslecken und Asche zusammenputzen und Feuer füttern, aber Arbeit mochte er nicht. Also schimpfte er, während er arbeitete. Endlich verstand die Tür, was er von ihr wollte, und ging auf. Dunkelheit gähnte ihn an. Und aus der Dunkelheit drang ein betörender Duft. Ganz schwach nur, aber herrlich. Eilig kletterte Sil empor und suchte.
Er fand. Im dritten Fach lag alles voller Socken, und zwischen den Socken lag ein einziges kleines Stück Schokolade. Es war in knisterndes, glitzerndes Papier eingewickelt. Nur ein einziges Stück. Verzückt betastete Sil es und roch daran. Gutgut! Vor Freude hätte er am liebsten in die Hände geklatscht, aber das ging nicht, weil er damit die Schokolade festhalten musste. Also trommelte er mit den Füßen auf die weichen Socken ringsum. Gutgut!
Schokolade auspacken war schön. Schokolade essen war noch viel schöner. Schokolade gegessen zu haben war traurig. Betrübt schnüffelte Sil am Papier, das noch immer glitzerte und knisterte und gut roch, aber jetzt allein war und leer. Sorgfältig faltete er es zusammen und steckte es dorthin zurück, wo er es gefunden hatte. Er hätte es gern mitgenommen, aber er war kein Dieb.
Gerade streckte er den Kopf aus dem Fach, da hörte er ein Trillern. Erschrocken schlüpfte er zwischen zwei Lidschläge, beugte sich vor und schaute hinaus. Dort unten saß ein winziges kleines Koboldmädchen. Sie hatte das Gesicht einer Maus und einen langen Schwanz, und so sehnsuchtsvoll starrte sie nach oben, dass Sil ganz warm und weich und freundlich wurde, wie Butter, die in einem Topf auf dem heißen Herd steht. Sie sagte nichts, sie starrte nur nach oben. Er bemerkte, dass er beim Suchen nach der Schokolade die Socken unordentlich gemacht hatte, ein Paar ragte ein wenig über die Brettkante hinaus, und das starrte sie an.
Sil überlegte. Es waren sehr viele Socken. Rasch zählte er durch. Es waren mehr als fünf. Fünf, fand er, waren viele, und da waren wirklich viel mehr als fünf, und das Koboldmädchen hatte gar keine. Also suchte er ein besonders schönes Paar aus, das, unter dem die Schokolade gelegen hatte und das noch ein wenig danach roch, rollte es mit geschickten Fingern auseinander und warf die linke Socke zu dem Koboldmädchen hinunter. Beglückt zirpte sie auf, schnappte die Socke und verschwand damit. Es sah komisch aus, wie sie die Socke hinter sich herzerrte, die viel größer war als sie selbst.
»Guter Sil«, murmelte Sil, sehr mit sich zufrieden, und faltete die einzelne Socke sorgfältig wieder zusammen. Er räumte das Fach auf und kletterte wieder hinunter.
Kaum kam er unten an, saß auf einmal das mäusegesichtige Koboldmädchen vor ihm. Verlangend richtete sie den Blick nach oben und zirpte. Sie war gierig. Gierig zu sein, war unartig.
»Nein«, sagte er. »Neinnein.«
Sie starrte ihn kurz an, schaute wieder nach oben und zirpte.
»Nein«, sagte er streng. »Einfürallemal.«
Es half nicht. Wenn er ehrlich war, half es auch bei ihm nicht, wenn man das zu ihm sagte. Er stemmte sich gegen die Tür und schob sie zu. Das Koboldmädchen stieß einen schrillen Schrei aus, dass sich die Schatten in den Winkeln unruhig bewegten, sie erinnerten Sil an die Schlangen im Sumpf, die zischten und bissen, und das war kein schöner Gedanke. »Nein!«, raunzte er das Koboldmädchen an. Es war nicht schön, wenn man jemandem etwas schenkte und er dann so gierig war.
Mit glänzenden Knopfaugen starrte sie ihn an. Dann, ohne ein Wort zu sagen, huschte sie davon und verschwand in irgendeinem winzigen Winkel. Wahrscheinlich, um sich an ihre neue Socke zu schmiegen, an ihr zu riechen, sie zu betasten und sich darin einzuwickeln. Sil seufzte. Socken zu lieben, fand er, war einfacher, als
Weitere Kostenlose Bücher