Die Festung der Perle
ist dein Dämon die Gerechtigkeit, Prinz Elric. Du hast einen grausamen und unglücklichen Weg gewählt.« Mit leichtem Lächeln blickte Alnac hinaus auf das lange, rote Band der Straße, das sich erst am Horizont verlor. »Grausamer als die Rote Straße zur Oase der Silberblume, fürchte ich.«
»Du machst mir nicht gerade Mut, Alnac.«
»Aber du weißt doch selbst, daß es nur ganz wenig Gerechtigkeit in der Welt gibt, für die nicht hart gekämpft wurde, die nicht unter Schwierigkeiten errungen wurde und die nicht ebenso hart zu halten ist. Es liegt in der Natur der Sterblichen, den anderen die Verantwortung zuzuschieben oder die stärksten Kräfte zu suchen, in der Hoffnung, daß ein Bündnis mit der Macht eine bessere Überlebenschance gewährt. Auf kurze Sicht bestätigt dies die Erfahrung oft. Es gibt aber auch so bedauernswerte Geschöpfe wie dich, die sich unablässig mühen, Macht abzulegen und dabei immer mehr Verantwortung auf sich laden. Manche würden diese Haltung als bewundernswert loben, da sie Charakter und Zielstrebigkeit aufbaut und nach einer höheren Form der Vernunft strebt…«
»Aye, aber manche würden wiederum sagen, daß es schierer Wahnsinn ist und allen natürlichen Impulsen widerspricht. Ich weiß nicht genau, wonach ich strebe, verehrter Traumdieb; aber ich weiß, daß ich eine Welt erhoffe, in der die Starken nicht die Schwachen wie hirnlose Insekten unterdrücken, wo Sterbliche die menschenmöglichste Erfällung erreichen, wo alle ehrenvoll und gesund leben und nicht als Opfer einiger Stärkerer …«
»Dann dienst du aber mit dem Chaos den falschen Herren, Prinz! Denn die einzige Gerechtigkeit, welche die Herzöge der Hölle anerkennen, ist die Gerechtigkeit ihrer eigenen unbestrittenen Existenz. Sie sind all deinen Idealen feindlich gesonnen.«
Elric war leicht verwirrt. Leise fragte er: »Aber kann man nicht diese Kräfte einsetzen, um sie zu vernichten? Oder doch zumindest ihre Macht in Frage stellen und das Gleichgewicht regulieren?«
»Nur ein ausgewogenes Gleichgewicht gibt dir die Macht, die du erstrebst. Und das ist eine subtile, manchmal äußerst heikle Macht.«
»In meiner Welt nicht stark genug, fürchte ich.«
»Stark nur, wenn genügend viele an sie glauben. Dann ist sie stärker als Chaos und Ordnung zusammen.«
»Schön, ich werde auf den Tag der tatsächlichen Ausgewogenheit hinarbeiten, Alnac Kreb. Aber ich bin nicht sicher, ob ich lange genug lebe, um ihn zu erblicken.«
»In deinem Leben wird er wohl kaum kommen«, sagte Alnac leise. »Aber es werden noch viele Jahre vergehen, ehe man dich ruft, das Rolandshorn zu blasen.«
»Ein Horn? Was für ein Horn?« fragte Elric, allerdings nicht sehr neugierig, da er glaubte, der Traumdieb habe sich wieder einer allegorischen Anspielung bedient.
»Schau!« Alnac zeigte nach vorn. »Dort in der Ferne? Das ist das erste Zeichen der Oase der Silberblume.«
Zu ihrer Linken versank die Sonne. Tiefe Schatten fielen über die Dünen und die hohen Böschungen der Roten Straße, während der Himmel am Horizont die Farbe dunklen Bernsteins annahm. An der äußersten Grenze des Gesichtskreises sah Elric etwas, das weder Schatten noch Sanddüne war, sondern eher einer Felsengruppe glich.
»Was ist das?«
»Die Nomaden nennen es »Kashbeh«. Ich würde in meiner Sprache dazu Burg oder Wehrdorf sagen. Doch haben wir keine genaue Bezeichnung für ein solches Bauwerk, da wir es nicht benötigen. Hier in der Wüste ist es jedoch notwendig. Die Kashbeh Moulor Ka Riiz wurde lange vor der Zerstörung des quarzhasaatischen Reiches errichtet und nach einem weisen König benannt, dem Begründer der Aloumrit-Dynastie, die auch jetzt die Kashbeh für die anderen Nomadensippen verwaltet. Sie wird von allen Stämmen der Wüste am höchsten geachtet. In dieser Kashbeh findet jeder in Not Zuflucht. Dort ist ein Flüchtiger sicher und kann mit einer fairen Gerichtsverhandlung rechnen.«
»Dann herrscht also, wenn auch sonst nirgendwo, zumindest in dieser Wüste Gerechtigkeit?«
»Es gibt solche Orte in allen Reichen des Multiversums, wie ich schon sagte. Männer und Frauen mit den reinsten und menschlichsten Prinzipien wahren sie und …«
»Dann ist diese Kashbeh nicht Tanelorn«, unterbrach Elric. »Seine Legenden führten mich nämlich in die Seufzerwüste.«
»Nein, es ist nicht Tanelorn, denn Tanelorn ist unvergänglich. Die Kashbeh Moulor Ka Riiz jedoch muß ständig bewacht werden. Sie ist die Antithese zu Quarzhasaat, deren
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