Die Festung der Perle
freundlich.
Die Pferde glichen dem Elrics, doch gab es auch die rinderähnlichen Tiere, wie das Alnacs. Aus allen Ecken hörte man Grunzen, Bellen und Schnauben. Elric sah, daß hinter den Zelten Pferche lagen, wo die Nomaden ihre Reittiere, aber auch Schafe, Ziegen und anderes Viehzeug eingesperrt hatten.
Doch am eindrucksvollsten war der Anblick der weit über hundert Fackeln, die in einem Halbkreis am Rande des Wassers loderten.
Gestalten in langen Kapuzengewändern hielten diese Fackeln, die ihr helles, gleichbleibendes Licht auf das kunstvoll geschnitzte Podium in der Mitte der Versammlung konzentrierten.
Elric und sein Gefährte hielten an. Sie waren von dem Anblick ebenso fasziniert wie die vielen Nomaden, die langsam an den Rand des Halbkreises wanderten, um Zeugen zu sein bei einer augenscheinlich bedeutenden Zeremonie. Mit großem Respekt standen sie da. Die unterschiedlichen Gewänder und Farben kennzeichneten die einzelnen Sippen. Elric sah alle möglichen Hautfarben. Manche waren so schwarz wie Alnac Kreb, andere dagegen beinahe so weiß wie er. Dazwischen gab es jede nur vorstellbare Schattierung. Alle hatten ähnliche starkknochige Gesichter und tiefliegende Augen. Männer und Frauen waren hochgewachsen und bewegten sich sehr anmutig. Noch nie hatte Elric so viele schöne Menschen auf einmal gesehen. Ihre natürliche Würde beeindruckte ihn ebenso stark wie die Arroganz und Dekadenz Quarzhasaats ihn abgestoßen hatte.
Jetzt bewegte sich eine Prozession den Berg herab. Sechs Männer trugen eine große, gewölbte Truhe auf den Schultern. Mit feierlicher Langsamkeit schritten sie auf das Podium zu.
Der helle Fackelschein beleuchtete jede Einzelheit. Die Männer stammten aus verschiedenen Sippen, waren aber alle gleich groß und in mittleren Jahren. Eine Trommel erhob die Stimme. Scharf und klar drang ihr Ton in die Nacht hinaus. Dann stimmte eine zweite ein, dann noch eine und noch eine. Schließlich hallte der Schlag von wenigstens zwanzig Trommeln über das Wasser der Oase und schallte von den Dächern der Kashbeh Moulor Ka Riiz wider. Der Rhythmus war langsam, aber überaus kompliziert. Elric konnte sich kaum fassen vor Staunen.
»Ist das eine Beerdigung?« erkundigte er sich bei seinem neuen Freund.
Alnac nickte. »Aber ich weiß nicht, wen sie beerdigen.« Er deutete auf eine Reihe symmetrischer Hügel, etwas entfernt von den Bäumen. »Dort liegen die Grabfelder der Nomaden.«
Jetzt trat ein alter Mann vor. Brauen und Bart waren grau, wie man unter der Kapuze sah. Er holte eine Schriftrolle aus dem Ärmel und las laut vor. Zwei andere öffneten den Deckel des Prunksarges und spuckten urplötzlich zu Elrics Überraschung hinein.
Auch Alnac riß den Mund auf. Dann richtete er sich im Sattel auf, um besser sehen zu können. Der Inhalt des Sarges war im Schein der Fackeln deutlich zu erkennen. Verwirrt wandte er sich an Elric. »Leer, Prinz Elric! Oder der Leichnam ist unsichtbar.«
Der Rhythmus der Trommeln wurde schneller. Stimmen schwollen an und ebbten ab, wie Wogen in einem Orkan. Elric hatte noch nie zuvor solche Musik gehört. Sie schien in ihm verborgene Gefühle zu wecken. Er fühlte Wut. Er fühlte Schrecken. Er fühlte Trauer. Er war den Tränen nahe. Die Musik ging weiter, nahm sogar an Intensität noch zu. Er wollte einstimmen, doch verstand er die Sprache nicht. Ihm kamen die Worte älter vor als die Sprache Melnibonés, welche die älteste in den Jungen Königreichen war.
Urplötzlich verstummten Trommeln und Gesang. Die sechs Männer hoben den Sarg vom Podest und trugen ihn langsam auf die Grabhügel zu. Die Fackelträger folgten. Zwischen den Bäumen huschten seltsame Schatten dahin. Dann leuchteten wieder weiße Stellen auf, deren Ursprung und Art Elric nicht feststellen konnte.
So abrupt wie die Musik aufgehört hatte, setzte sie wieder ein. Doch diesmal klang sie jubilierend, fast triumphierend. Langsam hoben die Menschen die Köpfe. Aus vielen hundert Kehlen drang hohes Geschrei als offensichtlich traditionelle Antwort.
Danach begaben sich die Nomaden zurück zu ihren Zelten. Alnac hielt eine Frau in einem kostbaren gold-grünen Gewand an und deutete auf die Prozession. »Was für eine Beerdigung ist das, Schwester? Ich sah keinen Leichnam.«
»Der Leichnam ist nicht hier«, antwortete sie und lächelte über seine Verwirrung. »Es ist eine Rachezeremonie all unserer Sippen, die Raik Na Seem anregte. Der Leichnam ist nicht da, weil sein Besitzer noch nicht weiß, daß
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