Die Festung der Perle
er tot ist. Vielleicht erfährt er es erst in mehreren Monaten. Wir begraben ihn jetzt, weil wir ihn nicht erreichen können. Er gehört nicht zu uns, auch nicht zur Wüste. Dennoch ist er tot, nur ist er sich dieser Tatsache noch nicht bewußt. Aber wir haben keinen Fehler gemacht. Uns fehlt lediglich die körperliche Hülle.«
»Ist er euer Feind, Schwester?«
»Aye. In der Tat. Er ist ein Feind. Er schickt Männer aus, um unseren größten Schatz zu stehlen. Sie versagten, aber trotzdem haben sie uns unermeßliches Leid zugefügt. Aber ich kenne dich doch, oder? Du bist der, auf dessen Rückkehr Raik Na Seem so wartet. Er sandte nach einem Traumdieb.« Dann blickte sie zurück zum Podium, wo im Licht einer einzigen Fackel eine große Gestalt stand. Sie hielt den Kopf geneigt, als bete sie. »Du bist Alnac Kreb, unser Freund, der uns schon einmal geholfen hat.«
»Ich hatte die Ehre, deinem Volk in der Vergangenheit einen unbedeutenden Dienst zu erweisen, aye«, bestätigte ihr Alnac Kreb mit der ihm üblichen Liebenswürdigkeit.
»Raik Na Seem erwartet dich«, sagte die Frau. »Geh in Frieden, und Friede auch deiner Familie und all deinen Freunden.«
Erstaunt blickte Alnac Kreb den Albino an. »Ich habe keine Ahnung, warum Raik Na Seem nach mir geschickt haben könnte. Das muß ich herausfinden. Willst du hier warten oder mich begleiten, Prinz Elric?«
»Ich bin neugierig, mehr über die ganze Sache zu erfahren, wenn das möglich ist.«
Sie gingen an den Rand der Oase. Dort blieben sie respektvoll stehen und warteten. Der Alte verharrte noch immer in der Stellung, die er eingenommen hatte, seit der Sarg fortgetragen worden war. Doch schließlich richtete er sich auf. Er hatte geweint. Als er Alnac Kreb erkannte, lächelte er und bat ihn näherzutreten. »Willkommen, lieber Freund!«
»Friede sei mit dir, Raik Na Seem!« Alnac trat vor und umarmte den alten Mann, der ihn um mindestens einen Kopf überragte. »Ich bringe einen Freund mit. Es ist Elric von Melnibonä. Sein Volk war der Erzfeind Quarzhasaats.«
»Das ist Musik in meinen Ohren«, sagte Raik Na Seem. »Friede sei mit dir, Elric von Melniboné\ Du bist hier willkommen.«
»Raik Na Seem ist der Sippenälteste der Bauradim«, erklärte Alnac. »Und für mich wie ein Vater.«
»Ich bin mit einem guten, tapferen Sohn gesegnet.« Raik Na Seem machte eine Handbewegung zu den Zelten. »Kommt! Stärkt euch in meinem Zelt.«
»Gern!« sagte Alnac. »Ich würde gern erfahren, warum ihr einen leeren Sarg begrabt und wer euer Feind ist, dem ihr eine so prunkvolle Zeremonie angedeihen ließet.«
»Oh, er ist der schlimmste aller Schurken. Das steht fest.« Ein tiefer Seufzer entrang sich der Brust des alten Mannes, der sie durch die Zeltstadt führte. Schließlich gelangten sie zu einem sehr großen Zelt, das eigentlich aus mehreren kleinen bestand, die ineinander führten. Dort wohnten die Familienangehörigen Raik Na Seems, die so zahlreich waren, daß sie schon fast einen eigenen Stamm bildeten. Elric bewunderte die kostbaren Teppiche, die überall lagen. Der Duft köstlicher Speisen drang in seine Nase, als sie auf weichen Kissen Platz genommen hatten. Man reichte ihnen Schüsseln mit Duftwasser, um sich die Hände zu waschen.
Beim Essen erzählte der Alte seine Geschichte. Je mehr er hörte, desto klarer wurde Elric, daß ihn das Schicksal zu einem überaus günstigen Zeitpunkt in die Oase der Silberblume geführt hatte, da vieles in der Geschichte für ihn besondere Bedeutung hatte. Zur Zeit des letzten Blutmondes seien Männer in die Oase gekommen, erzählte Raik Na Seem, und hatten sich nach dem Weg zu dem Aufbewahrungsort der Perle erkundigt. Die Bauradim kannten den Namen aus ihrer Literatur, hatten ihn aber für eine allegorische Umschreibung gehalten, für etwas, worüber Gelehrte und Dichter diskutierten und sich um eine Auslegung bemühten. Das hatten sie auch den Fremden erklärt und gehofft, diese würden wieder abziehen, da es Quarzhasaater aus der Sperbersekte der Zauberer-Abenteurer waren, die für ihre böse Magie und Grausamkeit berüchtigt war. Die Bauradim wollten aber auch keinen Streit mit ihnen, da sie mit Quarzhasaat Handel trieben. Doch verließen die Männer der Sperber-Sekte die Oase nicht. Sie fragten jeden, den sie trafen, nach dem Ort, wo sich die Perle befinde. So erfuhren sie auch von Raik Na Seems Tochter.
»Varadia?« unterbrach Alnac Kreb bestürzt. »Aber sie dachten doch nicht etwa, sie wisse etwas über die
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