Die Festung der Perle
Vielleicht wußten sie das. Vielleicht konnten sie seinen Charakter so leicht lesen wie er den Alnacs. Dies Vertrauen machte ihn glücklich, obgleich es seine Mission erschwerte. Aber er war entschlossen, diese Menschen niemals, auch nicht unabsichtlich, zu verraten.
Raik Na Seem zog prüfend die Luft ein und schaute zurück zur Oase. Dort stieg eine schwarze Rauchsäule empor, die immer höher stieg und sich mit den kleineren Rauchwölkchen vermischte: Ein böser Dämon gesellte sich zu seinen Gefährten. Elric wäre nicht überrascht gewesen, wenn der Dämon vor seinen Augen Gestalt angenommen hätte, so sehr hatte er sich an die seltsamen Ereignisse der letzten Tage schon gewöhnt.
»Man hat uns wieder angegriffen«, erkärte Raik Na Seem gleichmütig. »Laß uns hoffen, zum letzten Mal. Sie verbrennen die Leichen.«
»Wer greift euch an?«
»Die Zauberer-Abenteurer. Ich vermute, die Entscheidungen dieser Sekten haben mit der internen Politik der Stadt zu tun. Dutzende wollen sich irgendwelche Vorteile erkämpfen - vielleicht den Sitz im Rat, den du erwähntest. Von Zeit zu Zeit ziehen sie uns in ihre finsteren Machenschaften mit hinein. Das kennen wir schon. Aber jetzt scheint die Perle im Herzen der Welt der einzige Preis geworden zu sein, um für diesen Sitz zu zahlen. Habe ich recht? Je mehr von dem Kleinod wissen, desto mehr Krieger werden hierhergeschickt, um es zu finden.« Raik Na Seem sprach mit grimmigem Humor. »Wir können nur hoffen, daß Qarzhasaat bald entvölkert ist und nur noch die ränkeschmiedenden Lords übrig bleiben. Die können sich dann um eine nichtexistierende Macht über ein nicht-existierendes Volk streiten.«
Elric sah, wie ein ganzer Stamm Nomaden vorbeiritt. Sie hielten Abstand vom Bronzezelt, um ihren Respekt zu zeigen. Diese hellhäutigen, sonnengebräunten Menschen hatten brennende blaue Augen, so strahlend wie jene, die im Zelt ins Leere starrten. Als einige ihre Kapuzen zurückschlugen, sah Elric erstaunt, daß sie so blond wie Varadia waren. In der Kleidung unterschieden sie sich jedoch von den Bauradim. Hier herrschte tiefes Lavendelblau mit Besätzen aus Gold und Grün vor. Sie trieben Schafherden vor sich her und strebten der Oase der Silberblume zu. Als Reittiere benutzten auch sie jene merkwürdigen Buckelochsen, von denen Alnac behauptet hatte, sie seien für die Wüste wie geschaffen.
»Die Waued Nii«, sagte Raik Na Seem. »Sie treffen meist als letzte bei den Versammlungen ein. Sie kommen vom Rand der Wüste und treiben mit Elwher Handel. Sie bringen die Schnitzereien aus Lapislazuli und Jade, die wir so schätzen. Wenn die Stürme im Winter zu stark werden, weiten sie ihre Raubzüge über die Steppen bis hin in die Städte aus. Sie prahlten einmal, Phum geplündert zu haben; aber wir glauben, daß es ein kleinerer Ort war, den sie mit Phum verwechselten.« Offensichtlich war dies ein Scherz, den die Wüstenbewohner gern auf Kosten der Waued Nii erzählten.
»Ein Freund von mir kam aus Phum«, sagte Elric. »Er hieß Rackhir und suchte nach Tanelorn.«
»Ich kenne Rackhir. Ein guter Bogenschütze. Letztes Jahr ist er einige Wochen mit uns gezogen.«
Diese Neuigkeit freute Elric. »Ging es ihm gut?«
»Er war kerngesund.« Raik Na Seem war froh, über ein Thema sprechen zu können, das seine Gedanken von dem Schicksal seiner Tochter und seines Adoptivsohnes ablenkte. »Er war ein willkommener Gast und ging für uns auf die Jagd, als wir in der Nähe der Zackigen Säulen waren. Dort gibt es Wild, das wir nicht aufspüren können. Er erwähnte seinen Freund. Ein Freund, der viele Gedanken hat und den diese Gedanken oft in größte Schwierigkeiten bringen. Damit hat er zweifellos dich gemeint. Ja, ich erinnere mich genau. Er machte die witzige Bemerkung, du seiest etwas blaß geraten. Er machte sich Gedanken, was wohl aus dir geworden sei. Ich glaube, er mochte dich sehr gern.«
»Ich mag ihn auch sehr gern. Wir hatten etwas gemeinsam. So wie ich jetzt eine Verbindung zu dir und Alnac Kreb fühle.«
»Ihr habt sicher manche Gefahren geteilt.«
»Wir hatten viele seltsame Erlebnisse. Doch dann war er der Suche nach solchen Abenteuern überdrüssig und zog sich zurück, um Frieden zu finden. Weißt du, wohin er von hier aus ging?«
»Aye. Wie du schon sagtest, er war auf der Suche nach dem sagenhaften Tanelorn. Wir sagten ihm alles, was wir wußten. Dann wünschte er uns Lebwohl und ritt nach Westen. Wir rieten ihm, die sinnlose Suche nach einem Mythos
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