Die Festung der Perle
nur zu Bett.
Elric starrte auf die Überreste des Traumdiebes. Zweifellos hatte er gewußt, was er aufs Spiel setzte. Dies war das Geheimnis gewesen, das er nicht hatte teilen wollen.
»Es ist vorbei«, sagte Raik Na Seem ruhig. »Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich noch für sie tun könnte. Er opferte ihr zu viel.« Der alte Mann kämpfte, daß er sich nicht in Verzweiflung oder Versteinerung verlor. »Wir müssen nachdenken. Hilfst du mir dabei, Freund meines Sohnes?«
»Wenn ich kann, natürlich.«
Zitternd stand Elric auf. Da hörte er hinter sich leise Schritte. Er glaubte, eine Bauradifrau käme, um zu trauern. Als er sich umdrehte, sah er zuerst nur ihre Umrisse in dem Licht, das ins Zelt strömte.
Es war eine junge Frau, doch keine Bauradim. Sie trat langsam näher. Tränen standen in ihren Augen, als sie auf Alnac Krebs zerstörten Körper blickte.
»Dann bin ich doch zu spät gekommen.«
Ihre melodische Stimme war von tiefstem Schmerz erfüllt. Sie hob eine Hand ans Gesicht. »Er hätte eine solche Aufgabe nicht versuchen dürfen. Man sagte mir in der Oase der Silberblume, daß ihr hier seid. Warum konntet ihr nicht noch ein kleines bißchen warten? Nur noch einen einzigen Tag.«
Nur mühsam konnte sie ihre Trauer beherrschen. Elric fühlte sich ihr ganz eigenartig verbunden.
Sie machte noch einen Schritt auf den Leichnam zu. Elric war nur einen Zoll größer als sie. Dichtes, braunes Haar umrahmte das herzförmige Gesicht. Sie war schlank, aber muskulös. Ihr Wams war rot gefüttert. Sie trug Samthosen, bestickte Reitstiefel und über allem einen beinahe durchsichtigen Baumwollumhang. Am Gürtel hing ein Schwert, und in einer Fibel auf der linken Schulter steckte ein Krummstab aus Gold und Ebenholz, kostbarer als der Stab, der neben Alnac auf dem Teppich lag.
»Ich lehrte ihn sein Gewerbe«, sagte sie. »Aber hierfür war es nicht genug. Wie konnte er nur glauben, er würde es schaffen! Nie und nimmer reichten seine Kräfte dazu aus. Er hatte dazu nicht den richtigen Charakter.« Sie wandte sich ab und wischte die Tränen aus dem Gesicht. Dann drehte sie sich wieder um und blickte Elric direkt in die Augen.
»Ich bin Oone«, sagte sie und verneigte sich kurz vor Raik Na Seem. »Ich bin der Traumdieb, nach dem du geschickt hattest.«
ZWEITES BUCH
Gibt es die Tochter, in einem Traum geboren,
Mit Haut wie Schnee, und deren Augen auserkoren,
Zu schauen Reiche, die aus dem Stoffe sind gemacht,
Der stark wie Todesqualen und sanft wie Lügen
in der Nacht? Gibt es das Mädchen, aus einem Traum geboren,
Dessen Blut so alt, wie die Zeit an sich,
Und vom Geschick bestimmt, einfließt in mich,
Um dann zu herrschen über neue Lande als neue Königin?
Die Chronik des Schwarzen Schwertes
Kapitel 1
Wie ein Dieb einen Herrscher belehren kann
Oone nahm den Dattelkern aus dem Mund und ließ ihn in den Sand der Oase der Silberblume fallen. Dann streckte sie die Hand nach einer der leuchtenden Kaktusblüten aus, die der Oase ihren Namen gegeben hatten. Mit langen, zarten Fingern streichelte sie die Blütenblätter. Dazu sang sie leise vor sich hin. Elric kam es vor, als singe sie ein Klagelied.
Aus Respekt für ihre Trauer schwieg Elric. Er saß mit dem Rücken an eine Palme gelehnt und schaute zum Treiben im Zeltlager hinüber. Oone hatte ihn gebeten, mitzukommen, war aber wortkarg gewesen. Aus der Kashbeh hoch über ihm tönte ein Ruf. Aber als er hinaufblickte, sah er niemanden. Wind fegte über die Wüste, wie rote Wogen brach sich der Sand an den Zackigen Säulen am Horizont.
Es war beinahe die Mittagsstunde. Sie waren noch am Morgen zur Oase zurückgekehrt. Die sterblichen Überreste Alnac Krebs sollten ehrenvoll der Sitte der Bauradim entsprechend am gleichen Abend verbrannt werden.
Oone hatte den Traumstab hinter der Fibel hervorgezogen und hielt ihn in den Händen. Sie drehte ihn und beobachtete, wie sich das Licht auf der glänzenden Oberfläche brach, gerade so, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Alnacs Traumstab hatte sie in den Gürtel gesteckt.
»Meine Aufgabe wäre etwas leichter gewesen«, brach sie plötzlich das Schweigen, »wenn Alnac nicht so überstürzt gehandelt hätte. Er war sich nicht bewußt, was auf ihn zukam. Ja, ich weiß, er wollte unbedingt das Kind retten. Aber ein paar Stunden später hätte ich seine Hilfe gebraucht - und möglicherweise Erfolg gehabt. Auf alle Fälle hätte ich ihn gerettet.«
»Ich verstehe nicht, was mit ihm geschah«, sagte
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