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Die Festung der Perle

Die Festung der Perle

Titel: Die Festung der Perle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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schien aus seinem Körper heraus zu brennen, als sei er mit dem Rückenmark und der Gehirnrinde verschmolzen. Das gekrümmte Ende schien aus Alnacs Gehirn heraus zu glühen. Sein Schein ließ den Körper unbeschreiblich durchsichtig aufleuchten, so daß man jeden Knochen, jedes Organ, jedes Blutgefäß sehen konnte.
    Beim Mädchen schien sich nichts zu verändern. Doch als Elric genauer hinblickte, stellte er zu seinem Entsetzen fest, daß ihre Augen nicht mehr strahlend blau, sondern schwarz waren. Zögernd wandte er den Blick von Varadias Gesicht zu dem Alnacs. Er sah, was er nicht hatte sehen wollen: Die Augen des Traumdiebes waren jetzt blau. Es war, als hätten die beiden ihre Seelen ausgetauscht.
    Trotz all seiner Erfahrung mit Zauberei hatte der Albino so etwas noch nie erlebt. Es beunruhigte ihn sehr. Allmählich fing er an, das seltsame Gewerbe eines Traumdiebes zu verstehen, und warum es so gefährlich sein konnte, warum es so wenige gab, die dieses Gewerbe ausübten und warum noch weniger es gern taten.
    Jetzt trat wieder eine Veränderung ein. Der Krummstab zuckte und schien das Blut und die Lebenskraft der Knochen, des Fleisches und des Gehirns des Traumdiebes in sich hineinzusaugen.
    Raik Na Seem stöhnte vor Entsetzen und trat unwillkürlich einige Schritte zurück. »Oh mein Sohn! Was habe ich von dir verlangt!«
    Bald schien von Alnac Krebs Körper nur mehr die Hülle übrig zu sein, wie die abgestreifte Haut einer Libelle. Der Traumstab lag jetzt wieder dort, wo Alnac ihn zuerst hingelegt hatte: auf seiner und Varadias Hand. Allerdings schien er größer geworden zu sein. Sein Glanz war beinahe unterträglich. Unablässig wechselten die Farben durch ein Spektrum, das teils natürlich, teils übernatürlich war.
    »Ich glaube, er opfert viel von sich, um meine Tochter zu retten«, sagte Raik Na Seem erschüttert. »Vielleicht mehr, als er sollte.«
    »Er würde alles hingeben«, sagte Elric. »Ich glaube, daß das in seiner Natur liegt. Deshalb nennst du ihn auch Sohn und vertraust ihm.«
    »Aye«, bestätigte Raik Na Seem. »Doch jetzt habe ich Angst, zu der Tochter auch noch einen Sohn zu verlieren.« Bekümmert seufzte er wieder. Vielleicht machte er sich Vorwürfe, Alnac Kreb um seine Dienste gebeten zu haben.
    Länger als einen ganzen Tag und eine ganze Nacht saßen Elric und Raik Na Seem im Bronzezelt. Auch die anderen Bauradim harrten bange. Elrics Augen hingen wie gebannt an dem seltsam hell gewordenen Körper Alnacs, des Traumdiebes, der nur manchmal zuckte oder murmelte, ansonsten aber so leblos da lag wie die mumifizierten Ziegen, welche die Sanddünen zuweilen freigaben. Einmal meinte Elric, einen Laut aus dem Munde des Heiligen Mädchens zu hören. Raik Na Seem stand auf und legte die Hand auf die Stirn seiner Tochter. Doch dann ging er, traurig den Kopf schüttelnd, wieder weg.
    »Du darfst die Hoffnung jetzt nicht aufgeben, Vater meines Freundes«, sagte Elric.
    »Aye.« Der Sippenälteste der Bauradim hob den Kopf und nahm wieder neben Elric Platz. »Wir Wüstenbewohner setzen großes Vertrauen in Prophezeihungen. Doch scheint es mir, als habe unser Verlangen nach Hilfe unseren Verstand getrübt.«
    Die beiden Männer traten vor das Bronzezelt, um kurz Luft zu schöpfen. Rauchfahnen von den noch immer brennenden Fackeln zogen durch die Morgenluft und zu dem violett gefärbten Himmel empor. Eine leichte Brise trieb sie nach Norden. Elric wurde bei dem Geruch beinahe übel. Doch die Sorge um den Freund vertrieb die Gedanken an die eigene Gesundheit. Gelegentlich nahm er einen kleinen Schluck von Lord Ghos Elixier; aber nur so viel, um das schlimmste Verlangen zu stillen. Als Raik Na Seem ihm Wasser anbot, schüttelte er den Kopf. Viele widersprüchliche Gefühle tobten im Innern des Albinos. Er spürte eine starke Verbundenheit mit diesen Menschen hier und tiefe Achtung vor Raik Na Seem. Alnac Kreb, der ihm so großzügig das Leben gerettet hatte, wie es dem Charakter dieses Mannes entsprach, war ihm ans Herz gewachsen. Elric war für das Vertrauen der Bauradim dankbar. Nachdem sie seine Geschichte gehört hatten, wären sie völlig im Recht gewesen, ihn zumindest aus der Oase der Silberblume zu verjagen. Stattdessen hatten sie ihn zum Bronzezelt geführt, als der Blutmond brannte, und ihm erlaubt, Lord Ghos Hinweisen nachzugehen. Sie bauten darauf, daß er ihr Vertrauen nicht mißbrauchen würde. Jetzt herrschte zwischen ihm und ihnen ein Treuebündnis, das er nie brechen konnte.

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