Die Festung der Perle
Stimme ungerührt. »Ich habe schon seit Tagen keine ordentliche Mahlzeit mehr gehabt. Die Nieren! Die Nieren!«
Elric zog Schwert und Dolch, Oone ebenfalls.
»Meine wirst du nicht bekommen!« rief der Albino.
»Meine auch nicht«, erklärte Oone und spähte nach dem Ursprung der Stimme. Bei den vielen Höhlen war nicht sicher, in welcher sich der Sprecher aufhielt.
»Ich bin Balis Jamon, Lord des Blutes! Ihr habt in meinem Land Zoll zu entrichten! Zwei Nieren für mich!«
»Wie war’s, wenn ich stattdessen deine nehme?« rief Elric höhnisch.
»Komm doch!«
In einer Höhle bewegte sich etwas. Wasser brodelte und schäumte. Dann watete ein widerwärtiges Etwas zur Flußmitte. Auf dem massigen Körper hatten sich halbverfaulte Pflanzen mit verwelkten Blüten angesiedelt. Den Kopf mit der Schnauze und dem einen Horn hatte das Ungeheuer hocherhoben und funkelte Elric aus winzigen schwarzen Augen an. Die abgebrochenen Fangzähne waren gelb und schwarz. Mit seiner roten Zunge holte es sich kleine Fetzen verfaulten Fleisches heraus, und spie sie ins Wasser. Das Biest preßte seine gewaltige Pranke auf die Brust. Als es die Pranke senkte, sah man ein großes dunkles Loch, wo das Herz hätte sein müssen.
»Ich bin Balis Jamon, Lord des Blutes. Seht welche Mengen ich brauche, um zu leben. Habt Erbarmen, ihr Winzlinge. Eine Niere oder zwei, dann lasse ich euch passieren. Ich habe diese Löcher in meinem Leib, ihr aber seid vollständig. Seid gerecht und teilt mit mir.«
»Hiermit werde ich dir Gerechtigkeit erweisen, Lord Balis«, rief Elric und schwang sein Schwert, das ihm aber im Vergleich zur Größe des Ungeheuers winzig vorkam.
»Niemals wirst du vollständig sein, Balis Jamon«, rief Königin Zephir. »Nicht ehe du mehr Erbarmen gelernt hast.«
»Ich will fair sein. Eine Niere genügt.« Eine Pranke griff nach Elric, der zwar zuschlug, aber nicht traf. Der nächste Schwertstreich erreichte zwar das Ungeheuer, doch zeigte sich kaum ein Kratzer auf der Haut. Dann wollte das Biest Elric das Schwert entreißen; aber Elric konnte es gerade noch in letzter Sekunde zurückziehen. Enttäuscht und voller Selbstmitleid grunzte Balis Jamin laut. Dann streckte er dem Albino beide Pranken entgegen.
»Halt! Hier ist deine Niere!« Oone hielt einen tropfenden Klumpen in der Hand. »Hier hast du, was du wolltest, Balis Jamon. Nun laß uns passieren. Wir sind auf dein Verlangen eingegangen.«
»Einverstanden.« Offensichtlich besänftigt, drehte sich das Monster um und stopfte das, was Oone ihm gereicht hatte, in das Loch in der Brust. »Gut! Fahrt weiter!« Dann watete es stumpfsinnig zurück zur Höhle, Ehre und Hunger waren gestillt.
Elric war froh, daß Oone ihm das Leben gerettet hatte. Neugierig fragte er: »Was hast du ihm gegeben, Oone?«
Sie lächelte. »Eine große Bohne. Ein paar Sachen habe ich noch in meinem Beutel. Die Bohne ähnelt einer Niere, vor allem, wenn man sie ins Wasser hält. Ich bezweifle, ob er den Unterschied merkt. Er scheint ein ziemlich simples Geschöpf zu sein.«
Königin Zephir hatte die Augen himmelwärts gewendet, als sie das Boot an den Höhlen vorbeisteuerte. Der Fluß verbreiterte sich, am Ufer hoben die trinkenden Wasserbüffel die Köpfe und schauten sie mit wachsamer Neugier an.
Auch Elric folgte dem Blick der Frau am Ruder, sah aber nur den üblichen bleifarbenen Himmel. Er steckte das Schwert in die Scheide. »Diese Geschöpfe des Chaos scheinen mir nicht so intelligent zu sein wie andere, denen ich schon begegnete.«
»Aye.« Oone stimmte ihm bei. »Das ist auch gut möglich, schließlich-«
In diesem Augenblick wurde das Boot hochgehoben. Elric glaubte, Lord Balis sei zurückgekommen, um sich für den Betrug zu rächen. Aber sie schienen auf einer großen Woge zu reiten. Auf den schleimigen Uferfelsen und den Klippen tauchten Gestalten auf. Sie waren körperlich so verunstaltet, daß Elric an die Bettler von Nadsokor erinnert wurde, die ebenfalls in Lumpen herumliefen und durch Selbstverstümmelung und Krankheiten, durch Vernachlässigung und alte Verletzungen einen abstoßenden Anblick boten. Sie waren schmutzig. Sie stöhnten und leckten sich gierig die Lippen, als sie das Boot sahen.
Da wünschte Elric sich mehr als zuvor, er hätte Sturmbringer an seiner Seite. Das Runenschwert und ein wenig Hilfe von den Elementargeistern hätten diesen Pöbel im Nu davongetrieben. Doch ihm standen nur die Klingen zur Verfügung, die er von den Abenteurer-Zauberern erbeutet hatte.
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