Die Festung der Perle
annehmen, Elric! Das ist eine Frage, um die sich Philosophen aller Zeiten und Orte bemühen. Ich frage dich nochmals: Hast du keine Verwendung für die Perle?«
Er zögerte. Dann nahm er die Kostbarkeit und rollte sie zwischen den Handflächen hin und her. Er bewunderte ihren matten Glanz und ihre Schönheit. »Aye«, sagte er. »Ich habe dafür Verwendung.«
Als er die Perle in seinen Beutel steckte, sagte Oone: »Ich glaube, diese Perle ist ein böser Gegenstand.«
Er stimmte ihr zu. »Das glaube ich auch. Aber manchmal kann man mit Bösem Böses bekämpfen.«
»Diesen Grundsatz akzeptiere ich nicht«, erklärte sie und wirkte verstört.
»Ich weiß, das hast du mir schon klargemacht.« Dann beugte er sich zu ihr und küßte sie zart auf den Mund. »Das Schicksal ist grausam, Oone. Wieviel leichter wäre es, wenn es uns nur einen einzigen geraden Pfad bieten würde. Stattdessen zwingt es uns, Entscheidungen zu treffen und nie zu wissen, ob diese Entscheidungen auch richtig waren.«
»Wir sind sterblich«, erwiderte sie achselzuckend. »Das ist unser ganz besonderes Los.«
Zärtlich strich sie ihm über die Stirn. »Du machst dir so viele Sorgen, mein Lieber. Ich werde dir ein paar kleinere Träume stehlen, die dich belasten.«
»Kannst du Schmerzen stehlen, Oone, und sie in etwas verwandeln, das du auf deinem Markt verkaufen kannst?«.
»Oh ja, häufig«, sagte sie.
Dann nahm sie seinen Kopf in den Schoß und massierte die Schläfen. Dabei schaute sie ihn liebevoll an.
Schläfrig murmelte er: »Ich kann Cymoril nicht betrügen. Ich kann nicht…«
»Ich verlange von dir nur, daß du jetzt schläfst«, sagte sie. »Eines Tages wirst du viel bereuen müssen. Dann erst wirst du wirklich wissen, was Reue ist. Bis dahin kann ich ein wenig von dem, was unwichtig ist, von dir nehmen.«
»Unwichtig?« fragte er schläfrig.
»Unwichtig für dich, Elric. Nicht für mich …«
Dann begann die Traumdiebin ein Schlaflied zu singen, das von einem kranken Kind und einem trauernden Vater handelte. Sie sang vom jenem Glück, das man in kleinen Dingen findet.
Und Elric schlief. Die Traumdiebin nahm mit einigen einfachen magischen Handlungen halbvergessene Erinnerungen von ihm, die seinen Schlaf in der Vergangenheit gestört hatten und die ihn vielleicht in der Zukunft stören würden.
Als Elric am nächsten Morgen erwachte, waren sein Herz und Gewissen leicht und unbeschwert. An das Traumreich erinnerte er sich nur noch schwach. Für Oone hegte er weiterhin eine gewisse Zuneigung, war jedoch fest entschlossen, so schnell wie möglich nach Quarzhasaat zu reiten und Lord Gho zu bringen, was dieser am meisten auf der Welt begehrte.
Mit ehrlichem Bedauern verabschiedete er sich von den Bauradim. Auch diese waren über sein Weggehen betrübt und baten ihn, zurückzukehren und mit ihnen auf die Jagd zu gehen, wie es einst sein Freund Rackhir getan hatte.
»Ich werde versuchen, eines Tages wiederzukommen«, versicherte er ihnen. »Doch zuerst muß ich mehr als einen Schwur einlösen.«
Nervös schleppte ein Junge sein großes, schwarzes Runenschwert herbei. Als Elric Sturmbringer umschnallte, schien die Klinge voller Genugtuung zu stöhnen, daß sie wieder vereint waren.
Varadia klatschte in die Hände, küßte ihn und gab ihm den Segen ihres Volkes mit auf den Weg. Raik Na Seem erklärte ihm, daß er von nun an Varadias Bruder und sein Sohn sei. Dann trat Oone, die Traumdiebin, vor. Sie hatte beschlossen, noch eine Zeitlang als Gast bei den Bauradim zu bleiben.
»Leb wohl, Elric! Ich hoffe, wir begegnen uns wieder. Und unter besseren Umständen.«
Er lächelte. »Unter besseren Umständen?«
»Für mich jedenfalls.« Auch sie lächelte und tippte spöttisch an den Griff seines Runenschwertes. »Ich wünsche dir Glück bei dem Versuch, Herr dieses Dinges zu werden.«
»Ich finde, daß ich bereits sein Herr bin«, entgegnete er.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich begleite dich noch ein Stück auf der Roten Straße.«
»Deine Gesellschaft ist mir immer willkommen, teure Lady.«
Seite an Seite ritten Elric und Oone dahin, wie sie es auch im Traumreich getan hatten. Obgleich Elric sich an seine früheren Gefühle nicht genau erinnern konnte, spürte er ein wenig die alte Vertrautheit, als sei seine Seele bei ihr zur Ruhe gekommen. Daher trennte er sich mit Trauer im Herzen von ihr, als er schließlich allein nach Quarzhasaat weiterritt.
»Leb wohl, liebe Freundin. Ich werde nie vergessen, wie du den Perlkrieger in
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